Die Inflation der Hoffnung
Die Ukraine als EU-Beitrittskandidat: Ist das ein durchdachter Schritt im Rahmen einer langfristigen Strategie? Oder doch nur Symbolpolitik auf dem west-östlichen Diwan?
Die gar nicht fröhliche Zugreise der Staatenlenker Scholz, Macron und Draghi, erweitert um Rumäniens Präsidenten Klaus Johannis, nach Kiew mündet jetzt sehr wahrscheinlich in den „sofortigen EU-Beitrittsstatus“für die Ukraine. So sollen es die 27 Mitgliedsstaaten gemäß der gestern verabschiedeten Kommissionsempfehlung absegnen.
Man kann nur hoffen, dass dies einem langjährigen, durchdachten, bisher geheimen strategischen Plan entspringt – und zwar entgegen jedem Anschein. Aussehen tut’s nämlich nicht nach Plan, sondern nach Verlegenheit. Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich ja im Vorfeld festgelegt, dass bei der Reise mehr herausspringen müsse als ein paar schnelle Bilder. Aber was ließe sich denn der bedrängten Ukraine in der momentanen Phase konkret anbieten?
Man fand nur einen notdürftigen Ausweg aus dem Feld der Symbolpolitik: Nachdem alles andere schwieriger, teurer, noch gefährlicher oder realpolitisch unmöglich ist, sagt man halt für irgendwann irgendwas zu. Die jetzt beschworene „europäische Perspektive“ist eine reine Projektion - ein Versprechen, das man heute abgeben kann, weil es erst künftig etwas kostet. Also eine Verlagerung von Lasten in die Zukunft. Das wäre dann sozusagen die Fortsetzung der üblichen, unverantwortlichen EU-Schuldenpolitik mit anderen Mitteln.
Man kann sich natürlich immer herausreden, dass der Krieg alles über den Haufen geworfen hat und besondere Zeiten besondere Schritte erfordern. Mag sein. Aber die Unordnung im europäischen Haus nimmt exorbitante Ausmaße an. Mit der Türkei wird seit 1999 verhandelt, am Westbalkan stauen sich Albanien, Nordmazedonien, Serbien und Montenegro in der Warteschleife. Auch Bosnien-Herzegowina hat 2016 den Beitritt beantragt. Nicht zu vergessen der Kosovo ante portas. Wenn jetzt die Ukraine, die Republik Moldau und demnächst vielleicht auch Georgien auf die Überholspur dürfen, werden die anderen „not amused“sein. Der Brüsseler Erwartungshandel schürt die Hoffnungsinflation. Schlägt sie irgendwann in Enttäuschung um, wird es für Europa erst recht gefährlich.
Davon abgesehen müssen dringend die Gremien und die Willensbildung reformiert werden, wenn die EU bei „35 plus“Staaten wenigstens rudimentär handlungsfähig bleiben will. Das reicht von „Wer kriegt einen Kommissar“über „Bleibt das halbjährige Vorsitz-Radl“bis zu „In welche Sprachen wird was übersetzt“. Nötig wird wohl mehrstufige Repräsentation. Vom Geld ganz zu schweigen. Und vor allem: Der Ukraine-Krieg ist jetzt aus Putins Sicht aufgewertet zum Beitrittsveto, denn ein in Konflikte verwickelter Staat darf nicht EUMitglied werden. azit: Solidarität ist eine hehre Sache. Aber hoffentlich hat man diesen Schritt bis ganz an sein Ende durchgedacht. Sonst sitzt man plötzlich nicht auf dem west-östlichen Diwan, sondern zwischen allen Stühlen.
FBetreff: Pfauchen, schnurren, belauschen