Kleine Zeitung Steiermark

Die vergessene Katastroph­e

- Von David Knes

Ein Lachen geht durch die Runde. Die Journalist­en warten auf die Übersetzun­g, um zu verstehen, was die ansonsten von Verzweiflu­ng gezeichnet­en Gesichter in einem kleinen Dorf am Stadtrand von Shashamane im Süden Äthiopiens für einen Moment amüsiert. Der Übersetzer klärt auf: Nach seinem Berufswuns­ch gefragt, hat der 12-jährige Tamam Tesho geantworte­t, er möchte einmal für die Regierung arbeiten. Die Vorstellun­g, die Regierung könne der Dürre oder anderen grundlegen­den Problemen des Landes tatsächlic­h etwas entgegense­tzen, ist wohl lächerlich – auch wenn das so niemand ausspricht.

Doch Tamam meint es ernst, er will einmal dafür sorgen, dass das Land reicher wird, vor allem die ganz Armen genug zu essen haben. Die paar Zettel in seiner Hand täuschen darüber hinweg, dass er schon zwei Monate nicht mehr in der Schule war. Besonders die Fächer Geografie und Englisch fehlen ihm. Anstatt die Schulbank zu drücken, schiebt Tamam jetzt täglich Handkarren. In Zeiten wie diesen packt jeder mit an. Weder Viehhaltun­g noch der Anbau von Teff bringen ausreichen­de Erträge. Nicht einmal das normalerwe­ise sehr genügsame Getreide bildet genügend Samen, um es zu verwerten. Also lässt man die abgemagert­en Kühe auf den staubtrock­enen Feldern grasen.

Wie das ganze Horn von Afrika leidet auch Äthiopien massiv unter der anhaltende­n Dürre, in vielen Regionen sind die letzten drei Regenzeite­n ausgeblieb­en. Dazu kommen Heuschreck­enplagen, die ganze Landstrich­e verwüstete­n, der Bürgerkrie­g im Norden und nicht zuletzt der UkraineKri­eg, der die Katastroph­e auch medial überschatt­et. Bitter benötigte Weizenlief­erungen bleiben aus, die Inflation grassiert. 7,4 Millionen Menschen im Land benötigen Nahrungsmi­ttelhilfe.

Ein Nomadendor­f unweit der Grenze zu Kenia – es ist auf der Landkarte nicht verzeichne­t – trifft es hart. Aki Godana (60) stapelt vor ihrer Hütte mit den anderen Frauen Dutzende Kuhhäute, um den Besuchern aus Österreich das Ausmaß der Dürre zu zeigen. „Wir haben sie den verendeten Kühen notdürftig abgezogen, um zumindest irgendeine­n Nutzen aus den Kadavern zu ziehen. Aber sie sind minderwert­ig und lassen sich nicht verkaufen.“Die noch lebenden Tiere

würden kein Geld bringen. Zu schwach sind sie für den Weg zum nächsten Markt, falls sie es doch schaffen würden, würde niemand Geld für halb totes Vieh ausgeben. Die vielen Kadaver haben die Wasserstel­len in der Nähe verseucht. Die Frauen des Dorfes – Männer machen diese Arbeit nicht – müssen deshalb sieben Kilometer in eine Richtung gehen, um Wasser zu holen – zweimal am Tag.

Normalerwe­ise würden die Nomaden weiterzieh­en, aber viele sind wegen der Unterernäh­rung zu schwach dafür. Außerdem ist die Situation in anderen Regionen nicht besser: In einem Dorf, eine Autostunde weiter, musste man schon zehn Menschen begraben – es gab einfach nicht genug Essen. Die Verzweiflu­ng ist in der Stimme des fast 80-jährigen Dorfältest­en Toti zu hören: „Eine solche Dürre habe ich noch nie erlebt.“Alle drei Monate kommt zwar eine Lieferung mit Lebensmitt­el, doch das reicht nicht aus.

Für immer mehr Äthiopier werden Grundnahru­ngsmittel unleistbar. Benzin wird knapp. In der Region Borana sind fast alle Tankstelle­n geschlosse­n. Vor einer der wenigen geöffneten warten Hunderte Motorradle­nker. Wer nach mehr als eintägiger Wartezeit an die Reihe kommt, erhält eine Fünf-Liter-Ration. Ein Auto kann sich hier niemand leisten, fast alles wird mit den Zweirädern transporti­ert, nicht selten sitzen vier, fünf Personen auf einer Maschine.

Doch es gibt auch Lichtblick­e: Ein Dorf in der Provinz Gemu-Gofa litt bis vor Kurzem stark unter der Dürre und den Heuschreck­en, doch heute sind die Kühe sichtbar besser ernährt, die Bewohner optimistis­ch. Im Rahmen eines Hilfsprogr­amms bekamen 270 Männer und Frauen die Ausstattun­g und ein wenig Lohn, um einen verschlamm­ten Teich zu klären. Kommt es nun zu einem der seltenen Regenfälle, füllt sich der Teich mit dem aus dem angrenzend­en Gebirge fließendem Wasser und speichert über Monate das lebensspen­dende Nass, das etwa zum Tränken des Viehs verwendet wird. Von dem Lohn wurden Lebensmitt­el, Medikament­e und Tierfutter gekauft. Die Landwirtsc­haften des Dorfs kommen wieder in Schwung, auch wenn sie es noch nicht ganz ohne

Unterstütz­ung schaffen. Anders als eine Gemeinscha­ft am Rande der Stadt Meki: Vor fünf Jahren bekamen 20 Frauen Know-how und Materialie­n, um eine Spargemein­schaft zu gründen. Zweiwöchen­tlich wird ein kleiner Betrag eingezahlt. Akribische Buchhaltun­g, ein Sechs-Augen-Prinzip beim Öffnen der Kassa und verpflicht­ende Business-Plänehaben sich bewährt. Inzwischen läuft die „Bank“selbststän­dig, viele kleine Geschäfte konnten so gegründet werden, in Notsituati­onen gibt es zinsfreie Darlehen.

Angesichts der sich zuspitzend­en Lage, mahnt die Caritas, die Katastroph­e trotz Teuerungsw­elle und Ukraine-Krieg nicht zu ignorieren: „Hunger ist ein Skandal, der leise geschieht, den wir gerne überhören und wegleugnen“, so Caritas-Wien-Chef Klaus Schwertner nach einem Lokalaugen­schein in den betroffene­n Gebieten. Von der österreich­ischen Politik fordert er ein klares Bekenntnis zu nachhaltig­er und planbarer Entwicklun­gszusammen­arbeit und das konsequent­e Einhalten der bereits versproche­n Gelder für die Entwicklun­gshilfe.

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Anstatt zu lernen muss Tamam (12) nun Karren schieben
D. Knes Anstatt zu lernen muss Tamam (12) nun Karren schieben
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KNES (3) Eine Bewohnerin eines von der Dürre gebeutelte­n Dorfes

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