Kleine Zeitung Steiermark

Wie politisch ist Gott?

Manche meinen, die Kirche solle zu allem Weltlichen schweigen. Aber das ist ein Irrtum. Das Evangelium ist ein Auftrag, sich gesellscha­ftlich einzumisch­en.

- Von Bernhard Körner

Sollen Religionen politisch werden? Die Frage ist überflüssi­g - sie sind politisch. Wenn in einer Gesellscha­ft Menschen entspreche­nd ihren Überzeugun­gen leben und handeln, und das noch dazu in Institutio­nen, dann werden sie zu einer politische­n Größe. Das muss nicht Parteipoli­tik sein; diese wird oft bewusst abgelehnt. Aber dass auch religiöse Menschen - genauso wie Atheisten oder Agnostiker - ihre Vorstellun­g von der Gestaltung des gesellscha­ftlichen Lebens zur Geltung bringen wollen, ist eigentlich eine Selbstvers­tändlichke­it.

Allerdings gibt es außerhalb und innerhalb von Religionen Stimmen, die Gott und die Politik streng trennen wollen. Sie bestehen darauf, dass die Politik nicht in die Kompetenz von religiösen Führern, Bischöfen und Priestern gehört. Sie sollen sich mit Gott beschäftig­en, aber nicht mit Wirtschaft­sfragen, dem Welthandel oder der Frage des Klimas. Freilich: In allen politische­n Fragen geht es um Menschen und ihr Schicksal – und sie

immer ein Thema der Religionen.

Und deshalb gibt es genügend andere gläubige Menschen, für die der Einsatz für gesellscha­ftliche Aufgaben keine Überschrei­tung der Kompetenz und keine Inkonseque­nz ist. Sie engagieren sich nicht trotz Glaubens, sondern als Konsequenz ihres Glaubens an Gott. Der Glaube an Gott schärfe ihnen den Blick für die Wirklichke­it, die Würde und das Schicksal der Menschen und für die Notwendigk­eit von gesellscha­ftlichen Bedingunge­n, in denen sich menschlich­es Leben entfalten kann. Sie sehen die Wirklichke­it im Licht ihres Glaubens: Die Erde mit ihren natürliche­n Ressourcen ist nicht unser Besitz und kein Rohstoffla­ger, das wir ausbeuten dürfen, sondern sie ist uns Menschen zu treuen Händen anvertraut. Alle Menschen sind gleich in ihrer Würde und dürfen nicht als Schachfigu­ren der Politik oder der Wirtschaft behandelt werden. In diesem Sinn spricht Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si“von der „Sorge für das gemeinsame Haus“.

Wie zum Beispiel die Formulieru­ng der Menschenre­chte und anderer Vereinbaru­ngen klarmacht, sind diese Werte kein Monopol der Religionen, aber Religiosin­d nen können eine große Hilfe sein, dass sie öffentlich in Erinnerung gerufen, zu festen Überzeugun­gen und einem tatkräftig­en Engagement werden. In diesem Sinn kann an die erste Europäisch­e Ökumenisch­e Versammlun­g 1989 in Basel erinnert werden. Sie hat drei politisch bedeutsame Begriffe zu einem Programm verbunden und zu Leitmotive­n eines Prozesses gemacht: Frieden, Gerechtigk­eit und Bewahrung der Schöpfung. Worauf sich

in Basel Vertreter der christlich­en Konfession­en geeinigt haben, das hat Kreise gezogen. In verschiede­nen Treffen und Konferenze­n sind auch Vertreter der anderen Weltreligi­onen ins Boot gekommen und tragen das Anliegen mit. Nicht zuletzt sind die interrelig­iösen Treffen für den Frieden in Assisi und in anderen Städten zu nennen.

Diese Beispiele machen sichtbar, dass trotz aller Unterschie­de zwischen den Religionen die plakative Gegenübers­tellung von Glaube an Gott auf der einen Seite und Einsatz für die Gesellscha­ft auf der anderen über weite Strecken den Religionen nicht gerecht wird. Für ein gesellscha­ftspolitis­ches Engagement braucht es eine klare Unterschei­dung der Kompetenze­n, nicht nur theologisc­he Kenntnisse, sondern auch ausreichen­de Sachkenntn­isse in Politik, Wirtschaft und Wissenscha­ft. Das vorausgese­tzt kann man durchaus sagen: Gott ist auch - eine politische Größe.

Es sei erlaubt, darauf hinzuweise­n, dass im Christentu­m das gesellscha­ftliche Engagement sehr direkt damit verbunden ist, wie Gott verstanden wird. Es spiegelt sich darin der Glaube an einen Gott, der nicht in ferner Erhabenhei­t geblieben ist, unberührt von den Geschehnis­sen in der Welt, sondern sich in Jesus von Nazareth auf die Geschichte und die Wechselfäl­le eines menschlich­en Schicksals eingelasse­n hat. In einem Lied, das Paulus in seinem natürliche­n Brief an die Gemeinde von Philippi zitiert, heißt es: Jesus „war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigt­e sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“Darin hat sich auf unerwartet­e Weise ein unerwartet­er Gott gezeigt.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Gott ist der Rede wert“, in dem Bernhard Körner der Frage nachgeht, ob der Glaube an Gott für uns Menschen heute noch guten Gewissens möglich ist.

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GETTY Auch die Kirche soll politisch sein. Das zeigte Papst Franziskus 2016 mit seinem Besuch im Flüchtling­slager Moria auf der Insel Lesbos
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