„In einer Koalition sind wir die Spaßbremsen“
Parteichefin Beate Meinl-Reisinger über das Musterschüler-Image der Neos, das Ende der Impfpflicht, „nützliche Idioten“und warum sie Kanzlerin werden will.
Zuerst zur Aktualität. Die Regierung hat die Impfpflicht nun endgültig zu Grabe getragen. Sie haben damals dafür gestimmt. War das ein Fehler? BEATE MEINL-REISINGER: Hier gab es bei uns unterschiedliche Meinungen und das ist gut so. Was wir jetzt sehen, ist der traurige Höhepunkt des völlig erratischen Krisenmanagements der Regierung. Sie hat die Impfpflicht von Anfang an verkorkst und so das Vertrauen des Parlaments und der Menschen missbraucht. Und es fehlt weiter ein Plan für Sommer und Herbst.
Wie hätten die letzten zehn Jahre in diesem Land ausgesehen, gäbe es die Neos nicht?
Ich glaube, dass vieles weiter unter den Teppich gekehrt worden wäre. Wir haben viel aufgedeckt und dafür gesorgt, dass es die Menschen nicht mehr akzeptieren, wie sich manche am Steuertopf bedienen und sagen „der Staat sind wir“. Wir hätten auch bei vielen Themen wie der Bildung und bei Generationengerechtigkeit als Impulsgeber gefehlt.
Wäre die Abwesenheit der Neos auch am Land aufgefallen? Dort tut sich Ihre Partei auch nach zehn Jahren schwerer, Menschen zu finden, die sich für sie engagieren. Wir sind in zwei Ländern in der Regierung und in sieben Landtagen vertreten und haben 230 Gemeinde- und Bezirksräte. Ich weiß, dass wir immer wieder als urbanes Phänomen beschrieben werden. Aber das halte ich für eine Fehleinschätzung.
In Wien regieren Sie mit der SPÖ, bei der man „Stachel im Fleisch“sein wollte, wie Wien-Chef Christoph Wiederkehr versprochen hat. Der gibt sich nun handzahm. Lassen sich die Neos unterbuttern? Er hat gerade die Chefin der MA 10 (Anm.: Kinder- und Jugendhilfe) entlassen und eine Transparenzdatenbank eingeführt ...
Die gezeigt hat, dass die Stadt Wien um satte 57 Prozent mehr für Werbung ausgegeben hat. Klingt nicht gerade nach Stachel ...
Das muss die SPÖ den Wählern erklären. Aber Sie können davon ausgehen, dass wir das bei der nächsten Budgetverhandlung thematisieren. Die Zusammenarbeit als kleinerer Partner ist nie leicht, auch mit der ÖVP nicht. Klar, wenn wir es uns wünschen könnten, hätten wir eine absolute Mehrheit und ich wäre Kanzlerin oder Wiener Bürgermeisterin (lacht), dann könnte ich Dinge umsetzen.
Die Neos gelten als fleißige Parlamentspartei, pinke Reformvorschläge werden aber selten aufgegriffen. Frustriert Sie das? Politiker und Politikerinnen werden gern in einen Topf geworfen – „die sind eh alle so“. Bei uns stimmt das nicht. Wir sind als einzige Partei transparent, nehmen nicht die ganze Förderung und schreiben jeden Posten aus. Die Medien haben teils wenig Interesse an Inhalten. Konzepte, für die man in die Politik geht, kommen oft nicht an. Aber wir sind resilient, wir mögen Stress. Uns hat jede Herausforderung stärker gemacht.
Was bringt es, MusterschülerPartei zu sein, wenn die eigenen Inhalte nicht umgesetzt werden? Wir tun das ja nicht, um Musterschüler zu sein, sondern weil wir überzeugt sind, dass es richtig ist. Es braucht keine abgehobenen Politiker, die sich ihre Taschen vollstopfen und Macht erhalten, sondern solche, die demütig dienen und Rechenschaft ablegen. So geht neue Politik – auf Augenhöhe. Die Regierung hat eine große Vertrauenskrise verursacht. Wir haben Habsburg hinter uns, der Bürger ist nicht mehr Untertan. Und eine Regierung kann sich nicht mehr hinter dem Amtsgeheimnis verstecken. Macht gehört begrenzt, das ist eine tiefe, liberale Überzeugung.
Wie stehen Sie als Liberale zu Hilfen wie dem Anti-Teuerungspaket? Muss der Staat alle Krisen von seinen Bürgern fernhalten? Das kann er nicht – und ich warne davor, dass dieser Eindruck erweckt wird. Er kann und soll Krisen sozial verträglich abfedern für jene, die das brauchen, und die Mitte entlasten. Aber diese Gutschein-Mentalität, wo ich dem Bürger das Geld aus der linken Tasche nehme und es ihm gnädig wieder in die rechte stecke, muss aufhören. Wir können nicht ständig Probleme in die Zukunft schieben.
Wie viele interne Ampel-Gespräche haben Sie mit SPÖ und Grünen schon geführt? Wurden schon die Ministerien aufgeteilt? Das ist ja die Lieblingsbeschäftigung von Politikern – dass sie das Fell des Bären verteilen, während der noch munter herumläuft. Es gibt keine Gespräche. Als Parteichefin wünsche ich mir, dass wir so stark werden, dass wir uns den Partner aussuchen können und wir alle unsere Themen durchbringen. Oder gleich Kanzlerin.
Das wird es natürlich nicht spielen. Aber ich kann ja auch nicht als Politikerin antreten und Juniorpartner werden wollen. Ich möchte in die Umsetzung meiner Themen kommen. Als Staatsbürgerin glaube ich aber auch, dass der ÖVP eine Erneuerung in der Opposition guttäte. Aber auch die SPÖ muss sich in Sachen Transparenz und Offenlegung bessern.
Herrscht in Deutschland Chaos?
Bei manchen Themen trennen Sie Welten von SPÖ und Grünen. Würde Sie nicht spätestens eine Erbschaftssteuer entzweien?
Wir sind per se nicht dagegen. Der Faktor Arbeit muss zuerst massiv steuerlich entlastet werden, dann sind wir gesprächsbereit. Was es mit uns nicht gibt, ist eine zusätzliche Steuer. Mich stört an der Linken generell, dass sie kein Problem mit einem verschuldeten Staat hat.
Wären die Neos in einer AmpelKoalition also die Spaßbremsen, die auf das Geld schauen?
Das stimmt. „Koste es, was es wolle“gibt es mit uns nicht. Nachdem die ÖVP auch Geldgeschenke verteilt, sind wir mittlerweile die Einzigen, die darauf schauen, dass wir unseren Kindern keinen Schuldenrucksack umhängen. Wir Neos sind bekannt dafür, gut im Partyfeiern zu sein. Aber ja, hier sind wir die Spaßbremsen.
Schluss mit dem Spaß soll auch beim Thema Russland-Abhängigkeit sein. Sie wollen hier einen Untersuchungsausschuss. Wozu? Wir müssen klären, warum wir uns mit Russland ins Bett gelegt haben. Obwohl wir seit der Annexion der Krim wissen sollten, dass das nicht geht. Wie kann es sein, dass Rainer Seele OMVChef wird, obwohl uns der USGeheimdienst warnt? Warum bekamen Ex-Politiker hoch dotierte Posten in russischen Konzernen? Wie wurde Österreich zum Paradis für Spione? Der Kalte Krieg ist vorbei. Trotzdem waren manche in der Republik nützliche Idioten für Putin.