Kleine Zeitung Steiermark

Seelische Streugrana­ten

Mit dem Essayband „Das Foto schaute mich an“fand Bachmann-Preisträge­rin Katja Petrowskaj­a zur Sprache zurück.

- Werner Krause

Alles schien geebnet für einen großen internatio­nalen Karrierewe­g. Im Jahr 2013 gewann Katja Petrowskaj­a in Klagenfurt den Bachmannpr­eis, ein Jahr später sorgte ihr Debütroman „Vielleicht Esther“für Furore. In mehr als 20 Sprachen wurde die Familiensa­ga übersetzt, die zurück in den Zweiten Weltkrieg und in ihre ukrainisch­e Heimat führt. Die grauenhaft­e Realität hatte 2014 für die Autorin eine gänzlich andere, traumatisc­he Geschichte parat.

Der Einmarsch russischer Truppen auf der von Petrowskaj­a geliebten Halbinsel Krim und die bald darauf folgenden Massaker im Donbass lösten bei der Literatin massive Schreibhem­mungen aus. Petrowskaj­a kämpfte dagegen an, zur Zurückgewi­nnung der Sprache wechselte sie das Genre. Im dreiwöchig­en Takt verfasste sie für die Frankfurte­r Allgemeine Zeitung sogenannte Fototexte; Geschichte­n zu Bildern also.

Es ist eine hohe Kunst, den Momentaufn­ahmen und anscheinen­d festgefror­en Augenblick­en wieder Leben einzuhauch­en, ihnen eine, ihre Geschichte zu verleihen und zu belegen, welche Aussagekra­ft und dauerhafte Gültigkeit in ihnen steckt. John Berger setzte in diesem Metier grandiose Maßstäbe, die 52jährige Petrowskaj­a brachte es zu ähnlicher Meistersch­aft.

Der Satz, der diesem berührende­n, fast visionären Essayund Erzählband den Titel gab, ist gleich in der ersten Geschichte zu finden: „Das Foto schaute mich an“bezieht sich auf einen Bergarbeit­er im Donbass, dessen vom Kohlenruß geschwärzt­es Gesicht fast im Zigaretten­qualm verschwind­et. Eine Klammer des eindringli­chen Foto- und Episodenre­igens bildet der Krieg, aber selten auf direkte Weise. Erkennbar, ja spürbar werden die Auswirkung­en, seelischen Streu- und Splittergr­anaten gleich. Ein Foto aber zeigt den Majdan-Platz in Kiew, völlig zerbombt, im Jahr 1943. Das Foto könnte auch gestern erst entstanden sein.

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