Churchill von der Nordsee
Leonore Gewessler und Karl Nehammer sollten ihn genau studieren: Der deutsche Schattenkanzler Robert Habeck zeigt, wie modernes Führen in der Krise geht.
Es kommen härtere Tage. So beginnt die „Gestundete Zeit“, ein schönes, existenzielles Gedicht von Ingeborg Bachmann. Es lohnt sich das Wiederlesen, weil das Gedicht den Nerv der Zeit berührt: das Bewusstsein eines Zeitenbruchs, eines Ausgesetztseins, wo einen das Alte nicht mehr schützt und das Neue mit düsteren Ahnungen einhergeht. Putins Krieg hat den Fortschrittsund Wohlstandsautomatismus in Europa jäh durchbrochen. Die Zäsur zwingt zu einer schmerzhaften Revision der Ansprüche, nicht nur gegenüber dem fürsorgenden Staat, sondern auch in Bezug auf das eigene Leben. Verzichtskultur als solidarischer Akt und Gegenwehr: Das wird eine große Prüfung. Eine krisenmüde Wohlstandsgesellschaft lotet erneut ihr solidarisches Potenzial und ihre Widerstandskraft aus. Putins Drosselung der Gaslieferungen soll genau diese Fundamente des Gemeinsinns unterspülen. Sie soll die Preise befeuern, die Preise die Ängste und die Ängste die Entsolidarisierung mit der Ukraine. Das Gift ist eingesickert.
In dieser Bedrohungslage kommt der Politik eine Schlüsselrolle zu. Österreichs Regierung ist nicht so schlecht wie sie niedergeschrieben wird. Aber auch sie muss endlich raus aus den schlechten Gewohnheiten etablierter Politik, den alten „Ritualschlachten“, wie sie der grüne deutsche Vizekanzler Robert Habeck nennt. Die Politik muss in der Krise zu einer anderen Sprache finden. Sie muss raus aus der Rolle und aus den Schablonen. Sie muss postideologisch sein. Sie muss sagen, was ist und was geboten ist. Sie muss ins Risiko gehen und glaubwürdig sein, auch im Selbstzweifel. Sie muss den Schleier von den Notfallplänen nehmen und den Schleier von sich selbst. Sie darf nicht Gouvernante sein und beschwichtigen, schon gar nicht mit Leerformeln wie „alles im Griff “und
„alles unter Beobachtung“zu haben. Ritualhülsen. obert Habeck macht das Gegenteil. Hören Sie sich auf Youtube die jüngste Rede des Schattenkanzlers vor der Industrie an! Er lässt die Öffentlichkeit an seinen inneren Konflikten teilhaben. Er greift die Ängste der Leute auf und personifiziert sie. Er führt, indem er zusammenführt und die Denkwelten dialektisch auspendelt. Das Beste ist dann nicht mehr die Moral von gestern, sondern das am wenigsten Verwerfliche. So erklärt er den Emir und die Kohle. Er initiiert für die Wirtschaft Auktionen zum Gassparen, lanciert landesweite Kampagnen, bereitet die Bürger auf das Kommende und Schmerzhafte vor, beschwört vor den Industriellen das Gemeinsame („verarschen wir uns gegenseitig nicht“) und spricht aus, was passiert, wenn die Gasspeicher halb leer bleiben. Dann gehe es um Maßnahmen, „wo man nichts mehr richtig machen kann“.
Habeck macht derzeit furchterregend alles richtig. Ein smarter Churchill der Postmoderne. So geht grüne Volkspartei.
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