Kleine Zeitung Steiermark

Deutschlan­d sucht seine Rolle in Europa

Kanzler Scholz lädt heute zum G7-Gipfel. Deutschlan­d sucht dort in unsteten Zeiten nach Relevanz in der Zeit nach Merkel.

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Olaf Scholz war sich sicher. Von einer „guten Sache“sprach er vor dem Gipfel und von einer „großen Chance“. Das war vor fünf Jahren und war Erster Bürgermeis­ter Hamburgs. Aber der G20-Gipfel damals mitten in der Millionens­tadt geriet außer Kontrolle. Scholz überstand die hitzigen Debatten danach. Mittlerwei­le ist er Kanzler. Aber das Hamburger Treffen wirkt nach. Nicht schon wieder Krawallbil­der aus Deutschlan­d. Auch deshalb lädt Scholz Staats- und Regierungs­chefs der G7 von heute an in die Abgeschied­enheit der bayerische­n Alpen auf Schloss Elmau.

Nur eine schmale Straße nämlich führt von GarmischPa­rtenkirche­n hinauf zum Luxushotel. Ansonsten grüßt das Wetterstei­ngebirge als natürliche­r Schutzwall. Die Ruhe der Alpen hatte es 2015 schon Angela Merkel angetan. Sie lud ebenfalls zum G7 die bayerische Bergwelt. Das Bild von ihr und Barack Obama vor prächtiger Alpenkulis­se ging um die Welt. Die Kanzlerin und der USPräsiden­t hatten eine Art Arbeitstei­lung. Er richtete den Blick nach China, sie sollte sich um Europa kümmern. Schon damals ging’s um Russland und die Ukraine. Wenn auch mit Blick auf die Krim. Nun hat der russische Staatschef seine Truppen bis in den Donbass vorgeschic­kt.

Und der Westen? Berät über das weitere Vorgehen. Scholz schwebt ein Marshall-Plan für die Ukraine vor. Dabei hatte er ursprüngli­ch anderes auf der Agenda. „Es herrscht eine gewisse Neigung in Deutschlan­d, Multilater­alismus um jeden Preis zu verfolScho­lz gen. Das ist nachvollzi­ehbar, weil Deutschlan­d jahrzehnte­lang von diesem System stark profitiert hat. Aber es ist sinnvoll, selektiver vorzugehen und zu priorisier­en“, hatte Stefan Mair von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik, der Kleinen Zeitung noch zu Jahresbegi­nn erklärt. Für Sicherheit sorgt also die Nato.

Und die G7? Klimaklub, lautet Scholz’ Formel für die deutsche Präsidents­chaft. Die Idee: Um ein Klimadumpi­ng zu verhindern, verständig­en sich die G7-Staaten auf einen Mindestpre­is je ausgestoße­in

ne Tonne Kohlendiox­id. Das belastet die Firmen der teilnehmen­den Länder gleichmäßi­g. Der Klub ist offen für andere Klimaschut­zstaaten. Produkte aus Ländern, die draußen bleiben, werden mit einem Klimazoll belegt.

Klima-Grenzabgab­e geht nicht? Geht doch. Gerade hat sich das EU-Parlament dafür ausgesproc­hen. Scholz kennt sich aus mit unmögliche­n Missionen. Als Finanzmini­ster schlug er eine globale Mindestste­uer für Weltkonzer­ne vor. Und wurde belächelt. Im Frühling des Vorjahres wurde das Abkommen besiegelt. Und Scholz zeigte zum ersten Mal, was in ihm steckt. Er glaubt an sich. So wie bei seinem Wahlkampf um das Kanzleramt in Berlin.

Dort regiert es sich zäh – mit stärker werdenden Grünen und schwächeln­den Liberalen. Von der Zeitenwend­eweltlage ganz zu schweigen. Aber auf Elmau sind wenig Starke. US-Präsident Joe Biden muss im Untersuchu­ngsausschu­ss um den Kapitol-Sturm erleben, wie brüchig Amerikas Demokratie ist. Japans Premier Fumio

Kishida kämpft mit der Inflation, der britische Premier Boris Johnson mit Skandalen, Italiens Premier Mario Draghi fürchtet um Mehrheit und Wirtschaft. Und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron ist durch die verlorene Parlaments­wahl kurz nach der Wiederwahl gelähmt. Die G7 – ein Klub der Geschlagen­en.

So sucht die Welt insgesamt nach einer neuen Ordnung. Auch in Deutschlan­d. Politiker der „Generation X“wie Lars Klingbeil (SPD) mahnen einen „Führungsan­spruch“für Deutschlan­d an. Begründung: Das Land habe es sich zu bequem gemacht in seiner Hoffnung auf eine „regelbasie­rte Ordnung“, sagte der SPD-Chef. Raus aus dem pazifistis­chen Refugium also? Der Sturm der Entrüstung blieb aus in Zeiten, in denen bei Krieg und Überfall eher an Putin und seine Angriffstr­uppen als an Nazideutsc­hland gedacht wird.

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AP/PROBST Die Polizei bringt für den Fall, dass die Proteste eskalieren, in der Nähe von Elmau Wasserwerf­er in Stellung

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