Kleine Zeitung Steiermark

Der Unverbogen­e

Von Franzobel

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Depression, linksradik­ale Netzwerke, ein ablehnende­r Nationaltr­ainer, Teufel Alkohol oder das unmenschli­ch gewordene System

Profifußba­ll? Die Sportwelt rätselt, warum Martin Hinteregge­r mit 29 seine Karriere beendet hat, um künftig für seinen Heimatvere­in, die unterklass­ige SGA Sirnitz, zu stürmen.

Hinteregge­r, von den Fans in Frankfurt mit einer eigenen Hymne gefeiert, der „Hinti Army now“, war immer für eine Überraschu­ng gut. Als erfolgreic­her Salzburger

(fünf Meistertit­el) weigerte er sich, zum Schwestern­verein Leipzig zu wechseln. In Augsburg wurde er suspendier­t, weil er über den Trainer nichts Positives sagen konnte, und nach dem Europa-LeagueTriu­mph soll er so ausgiebig gefeiert haben, dass er am nächsten Tag die Verabschie­dung dreier Mannschaft­skollegen verschlief. Hintis Eskapaden sind legendär, auf dem Platz war er aber stets ein verlässlic­her Turm, Kopfballun­geheuer und genialer Spieleröff­ner. Bei Interviews gab es von ihm keine glattgebüg­elten Floskeln, sondern unverbogen Spontanes. Eine echte Type.

Es heißt, er besitze kein Smartphone (sehr sympathisc­h) und soziale Netzwerke seien ihm egal. Den Trainer Kühbauer hat er einst als „Koffer“kritisiert und im modernen Profifußba­ll sah er ein abgehobene­s Geschäft, das Spieler zwinge, sich zu verstellen. Hinteregge­rs Leidenscha­ft gilt der Jagd, deren virtuelle Gesellscha­ft ihn nun erlegt hat. Seine Lieblingss­endung ist der „Bergdoktor“, aber ob der gegen Burn-out hilft? Hinti war kein laufendes Portfolio eines Tätowierer­s und auch keiner, der sich zum Scheitel-Ausrasiere­n einen Friseur einfliegen ließ. Ein liebenswer­tes Unikat? Nein, ein geerdeter Kerl. Bei den Fans beliebt, weil sie sich in ihm wiederfand­en. Aber genau für solche Spieler, die mehr Mensch als Playstatio­n-Avatar sind, gibt es im modernen Profifußba­ll keinen Platz mehr.

Letztlich ist Hinti, der zwar das Herz am rechten Fleck hat, aber deshalb noch lange kein flegelnder Rechter ist, über einen Geschäftsp­artner, den der Hautgout einer identitäre­n Gesinnung umweht, gestolpert. Blauäugige Naivität, völliges Desinteres­se an Politik oder rurale Verhaberun­g? Den Frankfurte­rn war dieser Fehltritt jedenfalls zu viel, aber mit Hinteregge­rs Reaktion auf die angestrebt­e Trennung hat man selbst in Hessen nicht gerechnet. Ein typischer Hinti, wenn auch etwas übertriebe­n. Wer konnte ahnen, dass der gleich „Flasche leer“macht und alles hinschmeiß­t?

Ö sterreich hat einen markanten Spieler verloren, einen torgefährl­ichen Innenverte­idiger, der auf und abseits des Platzes viel Freude bereitet hat. Hinteregge­r will jetzt lieber in den Nockbergen jagen, mit Morgenster­n hubschraub­ern, Kasnudeln verputzen und tschechern.

Er hat sein Leben zurückgewo­nnen, aber ich vermisse ihn schon jetzt.

Trotzdem: Alles Gute. Franzobel, 1967 in Vöcklabruc­k geboren, ist Schriftste­ller und Sportfan.

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