Die wegmoderierte Notlage
Der Gas-Notfallplan betrifft nur die Wirtschaft. Haushalte werden nicht mit Einschnitten behelligt. Trotzdem ist klar: Bleibt das Gas aus, werden wir alle den Preis zahlen.
Draußen lachte an diesem Wochenende bei Rekordhitze die Sonne vom Himmel. Doch viele Menschen konnten sich nicht uneingeschränkt daran erfreuen. Man denkt womöglich schon sorgenvoll an den nächsten Winter. Die Furcht vor der Gasknappheit geht um: Wird es noch möglich sein, wie gewohnt zu kochen, warm zu duschen und zu heizen?
In der Politik wiederum herrscht die „Angst vor der Angst“, wie Herbert Grönemeyer einmal sang. Man weiß, dass allzu düstere Aussichten für das allgemeine Wohlstandsniveau politisch gefährlich werden können. Solidarität und Zusammenhalt könnten dann rasch verschwinden. Deshalb will die Regierung unsere Angst wegmoderieren. Das zeigt sich auch am bisher geheimen GasNotfallplan, den Energieministerin Leonore Gewessler nun in homöopathischen Dosen der Öffentlichkeit zugänglich macht.
Die zentrale Aussage des Plans lautet: Betroffen sind im ersten Schritt lediglich 35 große Industrieunternehmen, die „nicht in einem systemrelevanten Bereich tätig sind“, wie die Ministerin versichert. Im zweiten Schritt würde der Kreis jener Firmen, die nicht mehr unbeschränkt Gas erhalten, dann noch einmal wesentlich erweitert: auf landesweit etwa 7.500 Firmen. Doch diese Stufe werde sowieso nicht eintreten, meint man im Ministerium. Denn schon mit den Einschnitten der Stufe eins „kann aller Voraussicht nach auch ein längerfristiger Versorgungsengpass überbrückt werden“. So steht es in den Planungspapieren.
Die Haushalte wiederum werden vom Gasregime überhaupt gänzlich ausgenommen: Selbst im Fall einer Lieferunterbrechung wird man sie nur höflich bitten und ihnen dringend empfehlen, Gas zu sparen. Wahrscheinlich wieder einmal mithilfe einiger Werbeagenturen. Aber das war’s.
Positiv daran ist, dass jeder Gaskunde jetzt zumindest weiß: Einen auch nur kurzzeitigen Ausfall von Gas wird es in Haushalten nicht geben. Nur darf trotzdem niemand darauf hoffen, dass wir sozusagen von der Krise nichts spüren werden. Denn die 35 großen Fabriken, die zuerst am Gashahn drehen müssen, mögen formal „nicht systemrelevant“sein, aber in Wirklichkeit sind sie es natürlich schon, und zwar in höchstem Maße: Viele Tausend Arbeitsplätze stehen sofort auf dem Spiel, wenn das Gas für die Industrieproduktion stockt. er Optimismus, dass unser Land mit kleineren Regulierungen auskommen wird, ist bemerkenswert. Er steht in deutlichem Gegensatz zu unserer immensen Abhängigkeit vom russischen Gas. Die Regierung, so scheint es, will das Ausmaß der Krise kleinreden und drückt sich selbst fest die Daumen, dass wir mit einem blauen Auge davonkommen. Ob das die Bürger beruhigt, ist fraglich. In Deutschland wählt man den anderen Weg: Die Menschen werden darauf eingestimmt, dass harte Zeiten bevorstehen. Hoffen wir, dass die österreichische Lesart Wirklichkeit wird.
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