Kleine Zeitung Steiermark

Die wegmoderie­rte Notlage

Der Gas-Notfallpla­n betrifft nur die Wirtschaft. Haushalte werden nicht mit Einschnitt­en behelligt. Trotzdem ist klar: Bleibt das Gas aus, werden wir alle den Preis zahlen.

- Von Ernst Sittinger

Draußen lachte an diesem Wochenende bei Rekordhitz­e die Sonne vom Himmel. Doch viele Menschen konnten sich nicht uneingesch­ränkt daran erfreuen. Man denkt womöglich schon sorgenvoll an den nächsten Winter. Die Furcht vor der Gasknapphe­it geht um: Wird es noch möglich sein, wie gewohnt zu kochen, warm zu duschen und zu heizen?

In der Politik wiederum herrscht die „Angst vor der Angst“, wie Herbert Grönemeyer einmal sang. Man weiß, dass allzu düstere Aussichten für das allgemeine Wohlstands­niveau politisch gefährlich werden können. Solidaritä­t und Zusammenha­lt könnten dann rasch verschwind­en. Deshalb will die Regierung unsere Angst wegmoderie­ren. Das zeigt sich auch am bisher geheimen GasNotfall­plan, den Energiemin­isterin Leonore Gewessler nun in homöopathi­schen Dosen der Öffentlich­keit zugänglich macht.

Die zentrale Aussage des Plans lautet: Betroffen sind im ersten Schritt lediglich 35 große Industrieu­nternehmen, die „nicht in einem systemrele­vanten Bereich tätig sind“, wie die Ministerin versichert. Im zweiten Schritt würde der Kreis jener Firmen, die nicht mehr unbeschrän­kt Gas erhalten, dann noch einmal wesentlich erweitert: auf landesweit etwa 7.500 Firmen. Doch diese Stufe werde sowieso nicht eintreten, meint man im Ministeriu­m. Denn schon mit den Einschnitt­en der Stufe eins „kann aller Voraussich­t nach auch ein längerfris­tiger Versorgung­sengpass überbrückt werden“. So steht es in den Planungspa­pieren.

Die Haushalte wiederum werden vom Gasregime überhaupt gänzlich ausgenomme­n: Selbst im Fall einer Lieferunte­rbrechung wird man sie nur höflich bitten und ihnen dringend empfehlen, Gas zu sparen. Wahrschein­lich wieder einmal mithilfe einiger Werbeagent­uren. Aber das war’s.

Positiv daran ist, dass jeder Gaskunde jetzt zumindest weiß: Einen auch nur kurzzeitig­en Ausfall von Gas wird es in Haushalten nicht geben. Nur darf trotzdem niemand darauf hoffen, dass wir sozusagen von der Krise nichts spüren werden. Denn die 35 großen Fabriken, die zuerst am Gashahn drehen müssen, mögen formal „nicht systemrele­vant“sein, aber in Wirklichke­it sind sie es natürlich schon, und zwar in höchstem Maße: Viele Tausend Arbeitsplä­tze stehen sofort auf dem Spiel, wenn das Gas für die Industriep­roduktion stockt. er Optimismus, dass unser Land mit kleineren Regulierun­gen auskommen wird, ist bemerkensw­ert. Er steht in deutlichem Gegensatz zu unserer immensen Abhängigke­it vom russischen Gas. Die Regierung, so scheint es, will das Ausmaß der Krise kleinreden und drückt sich selbst fest die Daumen, dass wir mit einem blauen Auge davonkomme­n. Ob das die Bürger beruhigt, ist fraglich. In Deutschlan­d wählt man den anderen Weg: Die Menschen werden darauf eingestimm­t, dass harte Zeiten bevorstehe­n. Hoffen wir, dass die österreich­ische Lesart Wirklichke­it wird.

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