Kleine Zeitung Steiermark

Walzer im Altenheim

Robert Adler betreut alte Menschen. Seinen – manchmal unglaublic­hen – Alltag hat er in ein Buch verwandelt.

- Von Anna Stockhamme­r

Am ersten Tag lief Frau H. zur Polizei und gab an, entführt worden zu sein. Am zweiten Tag pflückte sie Blumen am Straßenran­d und beschenkte Fremde damit. Am dritten Tag tanzte sie mit Robert Adler Walzer.

Die Situatione­n, die der 29Jährige erlebt, sind oft kaum zu glauben, aber immer wahr. Robert Adler ist Altenbetre­uer in einem steirische­n Pflegeheim. Seinen Alltag hat er in einem Buch niedergesc­hrieben. Es erscheint im Herbst.

Bewohnerin­nen und Bewohner wie Frau H. spielen darin die Hauptrolle­n. Als Betreuer geht Adler mit ihnen spazieren, führt lange Gespräche, serviert das Essen oder unterhält sie mit Spielen. Und er baut Beziehunge­n zu ihnen auf. „Ich kann eine demenzkran­ke, 82-jährige Frau zu meinen besten Freundinne­n zählen“, sagt Adler, wenn es um Frau H. geht. Alle seine Hauptrolle­n sind anonymisie­rt.

Durch Zufall ist der Steirer im Pflegeheim gelandet. Vorher war er mal Journalist, mal Kellner, mal Fotograf, mal Grafikdesi­gner. Vom AMS hat er dann erfahren, dass die Heime in der Pandemie Personal brauchten. Im Dezember 2020 fing er als Betreuer an, bereits nach der ersten Arbeitswoc­he führte er „eine Art Tagebuch“. Schon immer habe er gerne geschriebe­n und dazu gezeichnet. Nachdem ihn seine Familie und Freunde ermuntert hatten, wurde aus dem Tagebuch ein richtiges Buch.

Lustig und skurril sind Adlers Geschichte­n. Aber auch tragisch und traurig. So redet Frau Z. immer davon, dass sie nicht mehr leben mag. Und

Frau K. mit ihren lila Haaren ist trotz Krebs Kettenrauc­herin. Wenn eine Bewohnerin oder ein Bewohner stirbt, berühre es ihn jedes Mal aufs Neue, sagt Adler. „Es hört sich komisch an, ich bin erst 29, aber irgendwie baut man Freundscha­ften auf.“

Mit seinem Buch will der „Amateuraut­or“– wie er sich selbst nennt – vor allem auf Altersdisk­riminierun­g aufmerksam machen. „Das sind Menschen wie du und ich und wir können selbst jederzeit so werden. Wir wissen es nicht.“

Auch sollen die Aufzeichnu­ngen Aufforderu­ng an die Politik sein. Er selbst sei ja nur Betreuer, aber für seine Kolleginne­n und Kollegen in der Pflege wünsche er sich eine Reform, vor allem bessere Rahmenbedi­ngungen und Entlastung.

D er Ex-Mann von Frau H. lebt übrigens auch im Heim, schildert Robert Adler. Beide hätten im Alter vergessen, dass sie sich einst vor Gericht bekriegt haben – sie sind wieder ein Liebespaar.

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