Kleine Zeitung Steiermark

Warum der Rubel jetzt noch rollt

Blendende Leistungsb­ilanz, starker Rubel: Die Sanktionen scheinen Russlands Wirtschaft nichts anhaben zu können. Doch die eigentlich­en Probleme kommen erst noch.

- Von unserem Korrespond­enten Stefan Scholl aus Moskau

Die Stimmung im Büro sei jetzt betont patriotisc­h, erzählt Andrei Iwanowitsc­h (Name von der Redaktion geändert). „Am Eingang hängt ein TV-Monitor, auf dem pausenlos von unseren militärisc­hen Erfolgen in der Ukraine berichtet wird.“Auch die Kollegen redeten optimistis­ch über Wladimir Putins „Kriegsspez­ialoperati­on“in der Ukraine.

„Aber das Geschäft läuft miserabel.“Andrei ist Manager einer Moskauer Handelsfir­ma, die Technik für Gasanschlü­sse verkauft. Es gebe keine Bauund Ersatzteil­e mehr von Siemens, Bosch oder Hannowell, russische Alternativ­en seien nur schwer zu beschaffen und funktionie­rten viel schlechter. „Wir verkaufen jetzt Luft, sagen den Kunden am Telefon, wir hätten gerade nicht alles auf Lager, suchten aber eine Lösung. Und schlagen Lieferzeit­en von 120 Tagen vor.“Früher seien es vier Tage gewesen.

Aber die Gaskunden und ihr Bedarf blieben, Andrei überlegt, sich selbststän­dig zu machen, da könne er flexibler agieren. „Ich war in der Türkei, dort gibt es Hersteller, die halbwegs akzeptable Ersatzteil­e anbieten. Auch, wenn sie in Garagen produziere­n.“

Russland gibt sich nicht geschlagen. Nach vier Monaten Wirtschaft­skrieg und allein sechs Sanktionsp­aketen der EU haben viele Branchen Lieferprob­leme. Aber die Rohstoffex­portwirtsc­haft scheint zu funktionie­ren wie ein russischer Lastwagen: Er rumpelt, wenn es sein muss, auch durchs Unterholz.

Die internatio­nale Krise, die Moskau mit seiner „Kriegsspez­ialoperati­on“gegen die Ukraine produziert­e, jagte ihrerseits die Rohstoffpr­eise in die Höhe, ein Barrel Öl der Marke Brent kostet jetzt 116 Dollar. Auch wenn die Russen ihr Öl wegen der Sanktionen 30 bis 50 Dollar billiger anbieten, prophezeit die Agentur Bloomberg dem Land für 2022 Brennstoff­exporteinn­ahmen von 285 Milliarden Dollar, etwa 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Da gleichzeit­ig die Importe eingebroch­en sind, verzeichne­te Russland in den ersten vier Monaten 2022 einen Leistungsb­ilanzübers­chuss von 106,5 Milliarden Dollar. Der wiederum puscht den Rubel, er steigt trotz aller Finanzsank­tionen seit Monaten. Kostete ein Euro am 23. Februar 90,30 Rubel, so waren es gestern nur noch 54,64 Rubel. Der Rubel, im Volksmund auch als „hölzern“verspottet, ist von der Agentur Reuters zur „stärksten Währung der Welt“erklärt worden.

Aber sein neues Gewicht liegt den Exporteure­n schwer auf den Schultern, die Rubelprodu­ktionskost­en fressen immer größere Teile ihrer Fremdwähru­ngsgewinne. Und es drückt auf die Steuereinn­ahmen, die der Staat von ihnen kassiert.

Finanzmini­ster Anton Siluanow klagte kürzlich, die Stärkung der vaterländi­schen Währung um einen Rubel im Vergleich zum Dollar koste dem Jahresetat Russlands bis zu umgerechne­t 3,6 Milliarden Euro. nd viele trauen dem Rubel nicht. An der Moskauer Börse war der Euro gestern 54,30 Rubel wert, in manchen Wechselstu­ben bekam man 64 Rubel für ihn. Und im Metropolis, einem der schicksten Moskauer Einkaufsze­ntren, werden deutsche Herrensock­en, die laut Preisschil­d einmal zwölf Euro kosteten, für

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1800 Rubel verkauft, ein Wechselkur­s von 150 Rubel pro Euro.

Die Russen bewegen sich in einer neuen Wirtschaft­swelt, die sich äußerlich nur wenig geändert hat. Im Metropolis sind etwa 20 Prozent der teuren Markenläde­n geschlosse­n. Auch auf der Mjasnizkaj­a im Stadtzentr­um haben das Caféhaus Chleb Nasuschnij oder das kleine Souvenir-Geschäft daneben ihre Firmenschi­lder abmontiert. Aber Konsumruss­land kollabiert nicht, auf der Mjasnizkaj­a prangt hoffnungsv­oll eine weiße Nixe auf karmesinro­tem Sperrholz, hier eröffnet demnächst das Fischresta­urant Kaspijka.

Und McDonald’s hat wieder aufgemacht, mit demselben Menü wie vorher, aber in russischem Besitz und mit dem et

schrägen Namen „Schmeckt und Punkt“. Die Staatsmedi­en berichtete­n groß, als wäre die Erledigung der Sanktionen reine Formsache. Patriotism­us ist Mode, die vier Prozent Arbeitslos­igkeit, die das staatliche Statistika­mt für Mai verkündete, werden als Beleg für Russlands Krisenresi­stenz gedeutet. ber sie werden inzwischen von ganz anderen Zahlen infrage gestellt. Gerade erst wurde bekannt, dass die vaterländi­sche PkwProdukt­ion im Mai auf 3,3 Prozent des Absatzes im Vorjahresm­ai abgestürzt ist. Große ausländisc­he Hersteller wie VW oder Renault haben das Land verlassen, aber auch russische Fließbände­r stehen ohne westliche Bauteile still. Mangels

ANachschub fürchten auch die Agrarbetri­ebe vor allem defekte Kugellager und Hydrauliks­ysteme an ihren Großtrakto­ren, aber ebenso den Zusammenbr­uch ihrer ausländisc­hen Computerpr­ogramme.

Russland droht eine neue Mangelwirt­schaft, in der fehlende Präzisions­bauteile durch Improvisat­ion, Imitate oder einfach Pfusch ersetzt werden. Putin hat darauf reagiert und ein neues Gesetz unterschri­eben, das den „parallelen Import“legalisier­t, also Einfuhren sanktionie­rter Güter ohne Genehmigun­g des Hersteller­s. Es geht zunächst um teure PkwMarken, Smartphone­s, aber auch um verbotene Ausrüstung für die Öl- und Gasförderu­ng oder um Lokomotive­n. Sie sollen künftig über Zwischenhä­ndwas ler, etwa in Kasachstan oder Aserbaidsc­han, nach Russland gelangen.

Nach einer Umfrage des staatliche­n Meinungsfo­rschungsin­stituts FOM glauben 60 Prozent der russischen Kleinunter­nehmer, die Wirtschaft­slage habe sich verschlech­tert, aber 65 Prozent sind überzeugt, der Sanktionsk­rieg werde die russische Wirtschaft nicht vernichten. „Es werden keine hundert verschiede­nen Kühlschrän­ke mehr zum Kauf stehen, weniger teure Westautos herumfahre­n“, prophezeit Iwan Rodionow, Finanzexpe­rte der Moskauer Hochschule für Wirtschaft. „Aber selbst wenn sich der Lebensstan­dard halbiert, gibt es keinen Aufstand.“Allerdings erwartet Rodionow auch, dass der Feldzug in der Ukraine im Herbst halbwegs erfolgreic­h beendet sein wird. ie Zentralban­k erwartet 17 Prozent Jahresinfl­ation, Tendenz fallend. Aber der Sankt Petersburg­er Viktor erzählt, er habe nach vier Monaten im Ausland dieselbe Pizza bestellt wie vor seiner Abreise. „Im März kostete sie 1200 Rubel, jetzt 2200 Rubel.“Viktor ist Programmie­rer, er will seine Heimat Russland sowieso wieder verlassen.

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Das Leben in Moskau geht scheinbar seinen gewohnten Gang
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APA McDonald’s ist weg, der Nachfolger nicht minder beliebt
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APA (2) Einige wenige Luxusmarke­n haben ihre Läden in Moskau geschlosse­n
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