Gibt es ein Recht auf Abtreibung?
Die österreichische Fristenregelung begründet kein generelles Recht auf Abtreibung; sie ist die gesetzliche Einräumung einer Ausnahme vom Verbot – der Kompromiss zwischen unvereinbaren Weltbildern.
In den USA ist ein ultrakonservatives evangelikales Denken wieder im Vormarsch. Gott oder Teufel, nichts dazwischen. Das bekräftigte jüngst die oberste, republikanisch dominierte Gerichtsbarkeit – der Supreme Court – mit ihren juristischen Mitteln. Seit dem 24. Juni 2022 hat jeder US-Bundesstaat das Recht, den Schwangerschaftsabbruch bedingungslos zu verbieten. Die radikalisierten „Anti-Abortionists“haben das Urteil heftig begrüßt, während das liberale Amerika entsetzt war. Für dieses bedeutet die Entscheidung des Supreme Courts das Ende jeglicher moderaten Kultur.
Und sicherlich hat es nichts mit zivilisierten Umgangsformen im Rahmen einer pluralistisch ausgerichteten Demokratie zu tun, wenn – wie Vorfälle in den USA belegen – abtreibungswillige Frauen am Betreten einer Klinik gehindert oder die Kliniken selbst attackiert werden. Dabei ist das Argument der Glaubensfanatiker immer dasselbe: Nur Gott habe das Recht, Leben zu beenden, ob geboren oder ungeboren; alles andere sei Mord.
Bisher existierte in den USA das Recht schwangerer Frauen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Dieses Recht wurde als „fundamental“bezeichnet, was nicht bedeutete, dass es „absolut“galt. Es wurde als Ergebnis einer Abwägung zwischen den Interessen der Frau und jenen des Staates angesehen, der das ungeborene Leben vertritt. Jedenfalls endete mit der Lebensfähigkeit des Fötus das Recht auf Abtreibung (als Grenze galt zur Zeit der liberalen Gesetzesreform, 1973, die 28. Schwangerschaftswoche). Von da ab war in den USA eine Unterbrechung der Schwangerschaft nur mehr zulässig, um von der werdenden Mutter gesundheitlichen Schaden abzuwenden.
Und in Österreich? Wir sind ein Land mit einer tiefverwurzelten katholischen Tradition, die bei der Gesetzgebung immer schwächer durchschlägt. Die Verweltlichung einst religiös bestimmter ethischer Fragen sowie eine zunehmende Glaubensindifferenz gehen seit Langem Hand in Hand. Dennoch gab es rund um das Thema „Schwangerschaftsabbruch“jahrelange, erbitterte Diskussionen zwischen den weltanschaulichen Lagern. Und so ist es umso bemerkenswerter, dass jene Regelung, die 1975 geltendes
Recht wurde, ein salomonisches Gepräge aufweist. m § 96 unseres Strafgesetzbuches (StGB) ist die generelle Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruches festgeschrieben. Diese wird dann, im § 97, durch die sogenannte „Fristenregelung“eingeschränkt. Es gibt demnach kein „fundamentales“Recht auf Abtreibung. Aber der Gesetzgeber räumt ein, dass eine Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten ohne Angabe von Gründen straffrei sein solle, vorausgesetzt, die Schwangere hat vorher eine ärztliche Beratung in Anspruch genommen.
In Demokratien mit einer
Igrundsätzlichen Trennung von Kirche und Staat ist es nicht angängig, explizit religiöse Werte im Gesetz als solche festzuschreiben, auch wenn sie aus einem Glauben erwachsen, der die jeweilige Kultur maßgeblich mitbestimmte. Die politisch Verantwortlichen müssen daher auf einen für alle Seiten erträglichen Kompromiss hinarbeiten.
Das war im Fall der „Heiligkeitsdoktrin des Lebens“besonders heikel, ist doch dem christlichen Glauben zufolge alles menschliche Leben von der Empfängnis bis zum Tod ein Gottesgeschenk, welches der Mensch nicht antasten darf. Damit
wollten sich, über den Taufschein hinweg, alle jene nicht abfinden, die das „Heilige“als Einschränkung ihres Selbstbestimmungsrechts verwarfen. abei darf jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass eine Gesellschaft, die sich, zugunsten marktgesteuerter Wohllebensprogramme, in ihren rechtlichen Grundlagen nur mehr auf „Interessen“stützt und nicht mehr auf „Werte“, die durch individuelle Vorlieben keine allgemeine Rechtfertigung erhalten – Würde, Wahrheit, Gerechtigkeit –, ihren inneren humanitären Zusammenhalt verliert.
Dder weltlichen Ethik wurde schon längst die Frage gestellt, ob dem Embryo in seinen frühen Stadien der Entwicklung ein Lebensinteresse zugebilligt werden müsse. Die neurologischen Befunde, die sich auf die Entwicklung des Gehirns und Nervensystems stützten, stellten ein solches Interesse infrage, und zwar mit dem Argument, dass die nötigen emotionalen und intellektuellen Voraussetzungen in den ersten Monaten der Embryonalentwicklung nicht gegeben sind.
Für den Gläubigen spielt dieser Befund keine Rolle; denn das „Lebensinteresse“, das ihm vorschwebt, ist ein mit der Geschöpflichkeit eines jeden menschlichen Wesens von vornherein mitgegebenes. Im Übrigen ist in unserer Gesellschaft die Rede vom „absoluten Wert des menschlichen Lebens“bisher mehr als eine Floskel. Sie resultiert aus der Vorstellung einer unantastbaren Würde. Und für den nachdenklichen Verstand stellt sich auch jenseits von Glaubensdogmen die Frage, warum dieser Wert erst nach der Geburt schlagend wird, während er zuvor eher rhetorische Geltung hat.
Die österreichische Lösung besteht – im Gegensatz
zu jener in den USA und anderen Ländern – darin, beim Schwangerschaftsabbruch von einer „bedingten Straffreistellung“zu sprechen. Doch es gibt einen Aspekt unserer Abtreibungsregelung, der sich als explosiv erweisen könnte: die Aufhebung der Drei-Monate-Frist im Falle der eugenischen Indikation. unächst: § 97 gestattet einen zeitlich unbefristeten Schwangerschaftsabbruch, wenn dieser „zur Abwendung einer nicht anders abwendbaren ernsten Gefahr für das Leben oder eines schweren Schadens für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren erforderlich ist“. Dieselbe Regelung gilt – aus ähnlichen Gründen – gleichlautend, falls „die Schwangere zur Zeit der Schwängerung unmündig“war.
Während nun aber die sogenannte „medizinische Indikation“auf weitgehendem Konsens beruht, liegt der Fall bei der „eugenischen“oder „embryopathischen Indikation“wesentlich anders. Diese Indikation ist gegeben, wenn „eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“. Hier hängt der Zeitpunkt der AbtreiIn
Zbung vom Zeitpunkt der Schädigungsdiagnose ab, was sowohl katholische Organisationen als auch Behindertenverbände seit jeher heftig kritisieren. Beim heutigen Stand der Medizin sind Fälle denkbar, in denen es möglich wäre, das „schwer geschädigte“Kind bereits neonatologisch – als „Frühchen“– zu versorgen, während der Gesetzestext eine Abtötung des Ungeborenen grundsätzlich gestattet. Einzuräumen ist, dass es, wenn auch sehr selten, Behinderungen gibt, die ein einigermaßen schmerzfreies und sinnreiches Leben unmöglich machen – zugegeben: mittels abstrakter Rechtsbegriffe schwer zu fassen. Generell jedoch sollte das Recht auf Leben Vorrang genießen. Freilich müsste der Staat den betroffenen Familien effektiv helfen, ihr Schicksal zu bewältigen.
Hier darf es keinen Kleinmut geben, der „absolute Wert des menschlichen Lebens“darf nicht zur Leerformel verkommen. Es wäre befremdlich, falls der Gesetzgeber angesichts der Fortschritte in der Medizin untätig bliebe. Ein Aufbrechen der alten Fronten könnte die Folge sein und damit auch die erneute Infragestellung der Fristenregelung.
Unter neuen Schildern