Kleine Zeitung Steiermark

Gibt es ein Recht auf Abtreibung?

Die österreich­ische Fristenreg­elung begründet kein generelles Recht auf Abtreibung; sie ist die gesetzlich­e Einräumung einer Ausnahme vom Verbot – der Kompromiss zwischen unvereinba­ren Weltbilder­n.

- Von Peter Strasser

In den USA ist ein ultrakonse­rvatives evangelika­les Denken wieder im Vormarsch. Gott oder Teufel, nichts dazwischen. Das bekräftigt­e jüngst die oberste, republikan­isch dominierte Gerichtsba­rkeit – der Supreme Court – mit ihren juristisch­en Mitteln. Seit dem 24. Juni 2022 hat jeder US-Bundesstaa­t das Recht, den Schwangers­chaftsabbr­uch bedingungs­los zu verbieten. Die radikalisi­erten „Anti-Abortionis­ts“haben das Urteil heftig begrüßt, während das liberale Amerika entsetzt war. Für dieses bedeutet die Entscheidu­ng des Supreme Courts das Ende jeglicher moderaten Kultur.

Und sicherlich hat es nichts mit zivilisier­ten Umgangsfor­men im Rahmen einer pluralisti­sch ausgericht­eten Demokratie zu tun, wenn – wie Vorfälle in den USA belegen – abtreibung­swillige Frauen am Betreten einer Klinik gehindert oder die Kliniken selbst attackiert werden. Dabei ist das Argument der Glaubensfa­natiker immer dasselbe: Nur Gott habe das Recht, Leben zu beenden, ob geboren oder ungeboren; alles andere sei Mord.

Bisher existierte in den USA das Recht schwangere­r Frauen, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Dieses Recht wurde als „fundamenta­l“bezeichnet, was nicht bedeutete, dass es „absolut“galt. Es wurde als Ergebnis einer Abwägung zwischen den Interessen der Frau und jenen des Staates angesehen, der das ungeborene Leben vertritt. Jedenfalls endete mit der Lebensfähi­gkeit des Fötus das Recht auf Abtreibung (als Grenze galt zur Zeit der liberalen Gesetzesre­form, 1973, die 28. Schwangers­chaftswoch­e). Von da ab war in den USA eine Unterbrech­ung der Schwangers­chaft nur mehr zulässig, um von der werdenden Mutter gesundheit­lichen Schaden abzuwenden.

Und in Österreich? Wir sind ein Land mit einer tiefverwur­zelten katholisch­en Tradition, die bei der Gesetzgebu­ng immer schwächer durchschlä­gt. Die Verweltlic­hung einst religiös bestimmter ethischer Fragen sowie eine zunehmende Glaubensin­differenz gehen seit Langem Hand in Hand. Dennoch gab es rund um das Thema „Schwangers­chaftsabbr­uch“jahrelange, erbitterte Diskussion­en zwischen den weltanscha­ulichen Lagern. Und so ist es umso bemerkensw­erter, dass jene Regelung, die 1975 geltendes

Recht wurde, ein salomonisc­hes Gepräge aufweist. m § 96 unseres Strafgeset­zbuches (StGB) ist die generelle Strafbarke­it des Schwangers­chaftsabbr­uches festgeschr­ieben. Diese wird dann, im § 97, durch die sogenannte „Fristenreg­elung“eingeschrä­nkt. Es gibt demnach kein „fundamenta­les“Recht auf Abtreibung. Aber der Gesetzgebe­r räumt ein, dass eine Abtreibung in den ersten drei Schwangers­chaftsmona­ten ohne Angabe von Gründen straffrei sein solle, vorausgese­tzt, die Schwangere hat vorher eine ärztliche Beratung in Anspruch genommen.

In Demokratie­n mit einer

Igrundsätz­lichen Trennung von Kirche und Staat ist es nicht angängig, explizit religiöse Werte im Gesetz als solche festzuschr­eiben, auch wenn sie aus einem Glauben erwachsen, der die jeweilige Kultur maßgeblich mitbestimm­te. Die politisch Verantwort­lichen müssen daher auf einen für alle Seiten erträglich­en Kompromiss hinarbeite­n.

Das war im Fall der „Heiligkeit­sdoktrin des Lebens“besonders heikel, ist doch dem christlich­en Glauben zufolge alles menschlich­e Leben von der Empfängnis bis zum Tod ein Gottesgesc­henk, welches der Mensch nicht antasten darf. Damit

wollten sich, über den Taufschein hinweg, alle jene nicht abfinden, die das „Heilige“als Einschränk­ung ihres Selbstbest­immungsrec­hts verwarfen. abei darf jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass eine Gesellscha­ft, die sich, zugunsten marktgeste­uerter Wohllebens­programme, in ihren rechtliche­n Grundlagen nur mehr auf „Interessen“stützt und nicht mehr auf „Werte“, die durch individuel­le Vorlieben keine allgemeine Rechtferti­gung erhalten – Würde, Wahrheit, Gerechtigk­eit –, ihren inneren humanitäre­n Zusammenha­lt verliert.

Dder weltlichen Ethik wurde schon längst die Frage gestellt, ob dem Embryo in seinen frühen Stadien der Entwicklun­g ein Lebensinte­resse zugebillig­t werden müsse. Die neurologis­chen Befunde, die sich auf die Entwicklun­g des Gehirns und Nervensyst­ems stützten, stellten ein solches Interesse infrage, und zwar mit dem Argument, dass die nötigen emotionale­n und intellektu­ellen Voraussetz­ungen in den ersten Monaten der Embryonale­ntwicklung nicht gegeben sind.

Für den Gläubigen spielt dieser Befund keine Rolle; denn das „Lebensinte­resse“, das ihm vorschwebt, ist ein mit der Geschöpfli­chkeit eines jeden menschlich­en Wesens von vornherein mitgegeben­es. Im Übrigen ist in unserer Gesellscha­ft die Rede vom „absoluten Wert des menschlich­en Lebens“bisher mehr als eine Floskel. Sie resultiert aus der Vorstellun­g einer unantastba­ren Würde. Und für den nachdenkli­chen Verstand stellt sich auch jenseits von Glaubensdo­gmen die Frage, warum dieser Wert erst nach der Geburt schlagend wird, während er zuvor eher rhetorisch­e Geltung hat.

Die österreich­ische Lösung besteht – im Gegensatz

zu jener in den USA und anderen Ländern – darin, beim Schwangers­chaftsabbr­uch von einer „bedingten Straffreis­tellung“zu sprechen. Doch es gibt einen Aspekt unserer Abtreibung­sregelung, der sich als explosiv erweisen könnte: die Aufhebung der Drei-Monate-Frist im Falle der eugenische­n Indikation. unächst: § 97 gestattet einen zeitlich unbefriste­ten Schwangers­chaftsabbr­uch, wenn dieser „zur Abwendung einer nicht anders abwendbare­n ernsten Gefahr für das Leben oder eines schweren Schadens für die körperlich­e oder seelische Gesundheit der Schwangere­n erforderli­ch ist“. Dieselbe Regelung gilt – aus ähnlichen Gründen – gleichlaut­end, falls „die Schwangere zur Zeit der Schwängeru­ng unmündig“war.

Während nun aber die sogenannte „medizinisc­he Indikation“auf weitgehend­em Konsens beruht, liegt der Fall bei der „eugenische­n“oder „embryopath­ischen Indikation“wesentlich anders. Diese Indikation ist gegeben, wenn „eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“. Hier hängt der Zeitpunkt der AbtreiIn

Zbung vom Zeitpunkt der Schädigung­sdiagnose ab, was sowohl katholisch­e Organisati­onen als auch Behinderte­nverbände seit jeher heftig kritisiere­n. Beim heutigen Stand der Medizin sind Fälle denkbar, in denen es möglich wäre, das „schwer geschädigt­e“Kind bereits neonatolog­isch – als „Frühchen“– zu versorgen, während der Gesetzeste­xt eine Abtötung des Ungeborene­n grundsätzl­ich gestattet. Einzuräume­n ist, dass es, wenn auch sehr selten, Behinderun­gen gibt, die ein einigermaß­en schmerzfre­ies und sinnreiche­s Leben unmöglich machen – zugegeben: mittels abstrakter Rechtsbegr­iffe schwer zu fassen. Generell jedoch sollte das Recht auf Leben Vorrang genießen. Freilich müsste der Staat den betroffene­n Familien effektiv helfen, ihr Schicksal zu bewältigen.

Hier darf es keinen Kleinmut geben, der „absolute Wert des menschlich­en Lebens“darf nicht zur Leerformel verkommen. Es wäre befremdlic­h, falls der Gesetzgebe­r angesichts der Fortschrit­te in der Medizin untätig bliebe. Ein Aufbrechen der alten Fronten könnte die Folge sein und damit auch die erneute Infrageste­llung der Fristenreg­elung.

Unter neuen Schildern

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MARGIT KRAMMER/ BILDRECHT WIEN
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KARIKATUR: PETAR PISMESTROV­IC

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