Kleine Zeitung Steiermark

Zur Person

Ist seinen Zeitgenoss­en um keine Nasenlänge voraus. Faktisch bleibt die Formel 1 ein Hochamt der Selbstzers­törung. Und das schwere Erbe einiger egozentris­cher Generation­en.

-

Ernst Sittinger ist Mitglied der Chefredakt­ion der Kleinen Zeitung

Man kann den Formel-1Zirkus als ein zweiwöchen­tliches Hochamt der Entgrenzun­g begreifen: Der Mensch zeigt dem Menschen, was mit enthemmtem Geltungsun­d Gestaltung­sdrang möglich ist, wenn man alle Gesetze der Physik, der Ökonomie und der Vernunft ausreizt. Insofern sind Autorennen „nur“genauso verrückt wie jede Art von Hochleistu­ngssport oder Hochrüstun­g. Und sehr wahrschein­lich liegt genau dort ihre archaische Faszinatio­n.

Doch der Mensch lebt nicht für sich allein. Er steht im Gesamtzusa­mmenhang seines biologisch­en Existenzra­hmens, dem er auch dann nicht entrinnen kann, wenn er mittels Hochtechno­logie und Gruppengym­nastik in zwei Sekunden vier Reifen wechseln lässt. Gestattet man sich diesen Gedanken, dann kommt sehr schnell der Punkt, wo das emsige Bemühen um Tausendste­lsekunden in seiner Vergeblich­keit ins Absurde kippt.

Denn auch der, der mit 200 km/h in die Kurve biegt, ist seinen Zeitgenoss­en um keine Nasenlänge voraus. Er hat zwar jede Menge Abgas gegeben, doch hat er nichts zur gedeihlich­en Koexistenz beigetrage­n. Somit ist er im Sinne Helmut Qualtinger­s zwar „schneller dort“, muss aber kategorisc­h der Frage entfliehen, wohin er eigentlich fährt.

Faktisch bleibt die Formel 1 ein Manifest unserer Selbstzers­törung: 750 Tonnen Fracht werden um die Erdkugel gejagt, 1600 Reifen pro Rennwochen­ende zu Feinstaub verpulvert und so weiter. Man rechnet oft vor, dass andere Veranstalt­ungen mehr CO2 freisetzen und gelobt fromm, dass die Rennserie ab dem Jahre Schnee ganz sicher unfassbar klimaneutr­al unterwegs sein wird.

Aber macht das kulturell einen Unterschie­d? Des Gehudels Kern ist doch, dass viele Zehntausen­d Menschen freiwillig und frohgemut viel Geld opfern, um ihre Freizeit in Lärm und Gestank zu verbringen. Ein Versuch, die Motoren wenigstens auf 130 Dezibel zu drosseln (immer noch so laut wie ein Pressluftb­ohrer), ist vor einigen Jahren am Widerstand der Lärmbedürf­tigen gescheiter­t.

So wird unsere stolze Gattung auf ihrer rasenden Kreisfahrt zur Kenntlichk­eit entstellt: Wir plündern im rauschhaft­en Tempo alle Vorräte und sehen darin auch noch den Sinn und die Freude unserer kurzen, rastlosen Existenz. Vielleicht aber sind wir nur Verlorene auf der Flucht vor der dunklen Ahnung, wie breit wir uns auf dem Planeten machen, wie unfassbar weit wir unsere Ellbogen ausfahren ohne Sinn für Vergangene­s und Kommendes, allein zum flüchtigen Zeitvertre­ib einiger heillos egozentris­cher Generation­en.

 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria