Weichenstellung
Der Kulturkampf über Abtreibungen, der in den USA tobt, wurde in Österreich bereits geführt. Aber wer über Schwangerschaften diskutiert, muss auch über Mutterschaft reden.
Manchmal ändert sich der Geruchssinn, manche bekommen ein neues Muttermal, anderen schmeckt plötzlich kein Alkohol mehr. Schon in den allerersten Wochen macht sich eine Schwangerschaft für Frauen oft deutlich bemerkbar. Wer das weiß, kann erahnen, was für eine schwere Entscheidung es ist, sie abzubrechen. Schätzungen zufolge entscheiden sich in Österreich jedes Jahr 30.000 Frauen dafür. Keine von ihnen wird das leichtfertig tun.
Ein Kulturkampf wie in den USA tobt in Österreich darüber nicht. Er wurde schon in den 70er-Jahren ausgetragen. Damals rang man sich zu einer Regelung durch, die bis heute gilt: Ein Recht auf Abtreibung gibt es nicht, allerdings ist ein Abbruch in der Frühschwangerschaft straffrei. Ein Kompromiss zwischen zwei eigentlich nicht zu versöhnenden Rechtsgütern: dem Recht auf Leben des Ungeborenen auf der einen Seite und dem Recht auf Selbstbestimmung der Frauen auf der anderen Seite. Die Fristenlösung ist ein Kompromiss, den keine der Seiten wirklich befürworten, aber beide zumindest akzeptieren können: eine Errungenschaft im Sinne des sozialen Friedens.
In der aktuellen Debatte wird nun wieder der Ruf nach einer Legalisierung von Abtreibung laut, nach Kostenübernahme durch die Krankenkassa, erleichtertem Zugang. Danach, die Fristenlösung in der Verfassung abzusichern. Dem gegenüber steht die nicht zu leugnende moralische Komplexität des Themas.
Vielleicht hilft es, die Perspektive zu erweitern: Die beiden westeuropäischen Länder mit der höchsten Geburtenrate, Frankreich und Schweden, unterstützen Frauen, die ungewollt schwanger sind, auf vielfältige Weise. Und – darin liegt der Schlüssel – sie unterstützen Frauen, die Kinder bekommen.
Wer über Schwangerschaft redet, muss nämlich auch über
Mutterschaft diskutieren. Für Frauen ist jede Schwangerschaft eine maßgebliche Weichenstellung in ihrer Biografie. Sie verändert den Körper und die Psyche, die Beziehung zum Partner, zu sich selbst, den beruflichen Werdegang, das Gehalt, die Pension. Damit möglichst viele Frauen sich eines (weiteren) Kindes gewachsen fühlen, darf diese Weiche nicht zum gesellschaftlichen Abstellgleis führen. azu braucht es treffsichere Familienleistungen, damit Kinder nicht zu Armut führen; qualitätsvolle Kinderbetreuung, damit Mütter arbeiten können; Unternehmen, die auch ein Familienleben ermöglichen; ein Pensionssystem, das Altersarmut verhindert. Darüber hinaus braucht es Männer, die als Väter die Sorgearbeit eben nicht selbstverständlich den Frauen überlassen. Und es braucht ein gesellschaftliches Umfeld, das Frauen auch in der Mutterschaft bestärkt, ohne sie dabei in ein starres Korsett zu zwingen. Das ist die größte Herausforderung. Denn dieser Kulturwandel lässt sich nicht über Gesetze ändern.
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