Lifting für eine alternde Diva
Bad Gastein saniert sein verfallenes Zentrum. Nach Jahren des Niedergangs hofft der alte Kurort auf eine neue Blüte.
Allerhöchstselbst“– was für ein Wort. Allerhöchstselbst haben seine apostolische Majestät Kaiser Franz Josef I. am 20. September 1905 huldvollst geruht, die Bahnlinie Schwarzach-St. Veit-Badgastein feierlich zu eröffnen, kündet eine Marmortafel am Bahnhof des Kurorts. Eine kleine Geste für den Kaiser, ein Riesenschritt für das „Wolkenkratzerdorf in den Bergen“. Statt mühsam vom Talgrund herauf mit Kutschen die 1000 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Heilquellen zu erreichen, reiste man fortan bequem durch den Berg.
Hoheiten waren und sind Gasteins Kapital, fast so wichtig wie Heilwasser und Bergpanorama. Schon 1479 war die erste hier: Kaiser Friedrich III., der Habsburger mit Residenz in Graz. In Porzellan und Gips stehen die gekrönten Werbeträger für die Heilkraft des Badeorts in den Andenkenläden, als Pappkameraden im kleinen Museum, das der Ort seiner Geschichte widmet. Fürst Bismarck lehnt dort mit „Reichshund Tyras“und einem namenlosen Dackel, sein Preußenkönig Wilhelm I. und natürlich Sisi nebst kaiserlichem Gemahl.
Irgendwann in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aber ließ die Anziehungskraft der großen Namen nach. Großinvestoren versprachen viel und hielten wenig. Der Ort verkam langsam, die Spuren der großen Vergangenheit, die so lange gehobenes Klientel hergelockt hatten, verwitterten. nübersehbares Zeichen des Niedergangs ist der zentrale Straubingerplatz neben dem Wasserfall. Ein Spekulant hatte 1999 das denkmalgeschützte Ensemble gekauft – das Badeschloss, die Alte Post und das gegenüberliegende Hotel Straubinger. Fortan verfielen
Uhistorischen Gebäude, in denen 1865 Preußen und Österreich ihren Streit über Schleswig, Holstein und Lauenburg in der Gasteiner Konvention beizulegen versucht hatten.
Elisabeth Kröll kennt die wechselhafte Geschichte ihres Ortes bis ins letzte Detail. Jeden Freitag führt sie Fremde und Einheimische durch die Gassen Bad Gasteins und erklärt, wo sich neue Hoffnung regt und was noch passieren müsste. „Eine alternde Diva, der das Make-up herunterrinnt“, nennt sie Bad Gastein, „wie bei Fellini“. Ein Ort mit Grandezza, respekteinflößend, aber mit Brüchen. Frau Kröll hält beim Hotel de l’Europe, dem zehnstöckigen, neubarocken Kasten, der das linke Ufer der Gasteiner Ache dominiert. Vor dem 1. Weltkrieg das modernste Hotel der Monarchie, mit Lift und Wellness-Anlage, erlitt das Hotel das typische Schicksal vieler Gasteiner
Traditionsbauten: Niedergang, Verkauf an Spekulanten, Konkurs. Ein Casino half dagegen so wenig wie Starauftritte von Shirley Bassey und Liza Minelli. eute ist das Haus saniert, aber aufgeteilt auf viele Besitzer. Prominente und Unbekannte haben sich um vergleichsweise wenig Geld in dem riesigen Gebäude eine Absteige gesichert. Frau Kröll erwähnt Florian Teichtmeister, der das Hotel bei Krimi-Dreharbeiten kennengelernt hatte, und Paul Ronzheimer, den Bild-Redakteur, der Sebastian Kurz einst eine Biografie gewürdigt hat.
Wesentlichen Anteil am Niedergang Gasteins hatte ein Wiener, der hier in den Jahren der Stagnation groß einkaufte: Franz Duval. Das zentrale Kongresshaus im Stil des Beton-Brutalismus der siebziger Jahre erwarb er ebenso wie das Jahrhundertwende-Hotel „Austria“gedie
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genüber. Ein paar Schritte über der Brücke, am Straubingerplatz, gehörten ihm bald die wichtigsten Kleinodien des Orts. Duval vertrieb die Mieter und tat – nichts. Nicht einmal Dachrinnen erneuerte der neue Eigentümer, der Schwamm zog ein ins Badeschloss.
2017 erkannte das Land Salzburg die Notlage und erwarb die Immobilien am Straubingerplatz um sechs Millionen Euro von Franz Duvals Sohn und Erben, Philippe. Zum Vergleich: Duval Vater hatte für alle Gebäude zusammen fünf Millionen gezahlt. In München fand man Interessenten, die 7,5 Millionen für den Straubingerplatz boten und die ernsthafte Absichten zu hegen schienen. In enger Kooperation mit dem Denkmalamt entwickelte das Wiener Architekturbüro BWM für die Hirmer-Gruppe einen Plan, der um 60 Millionen Euro geschäftliche Interessen mit dem Schutz der Substanz zu vereinbaren versprach.
Drei hohe Kräne drehen sich heute über den aufgerissenen Dächern. Bauarbeiter balancieren auf dem Turm, der hinter dem Badeschloss 14 Stockwerke in den Himmel ragen wird. In Schnappatmung seien die Gasteiner verfallen, als sie von der modernen Ergänzung des Ensembles hörten, erzählt Frau Kröll. Das Schmähwort vom „Turm von Babel“machte die Runde. Doch als die Ortsbewohner sahen, welchen Respekt Architekten und Bauherren gegenüber der gewachsenen Bausubstanz an den Tag legten, beruhigten sich die Gemüter schnell. enn im September 2023 die Gerüste und Kräne weichen, hat Gastein 150 Betten mehr, aber noch immer klaffende Wunden. Ein paar Schritte neben dem Straubingerplatz liegt das Kurhotel „Mirabell“, das, wie eine Tafel auflistet,
WFürst Bismarck fünfmal frequentiert hat. Daneben klafft eine Baulücke. Wo einst die ältesten Badeanlagen des Orts standen, wollte der Käufer einen Glaspalast hinknallen, höher als der nahe Kirchturm – ein Albtraum für das Ortsbild.
Auch das mittlerweile denkmalgeschützte Kongresshaus erinnert schmerzlich an die Jahre des Niedergangs. Platten mit Philippe Duvals provokantem Firmenlogo „Gasteins Historic City“verschließen die Fensterfronten des seit 2007 leer stehenden Betonbaus ebenso wie die des bröckelnden Hotels „Austria“gegenüber. Duvals Pläne stoßen auf große Skepsis im Ort: Vom einstigen Kongresszentrum aus will er Gondeln direkt auf den Stubnerkogel und den Graukogel führen. Das Ortszentrum als Liftstation? Elisabeth Kröll plädiert für eine mondänere Nutzung – als Museum moderner Kunst.
Das neu erwachte Interesse an kühler Sommerfrische, an Ruhe und Postkartenpanoramen schenkt der alternden Diva eine späte Blüte. Das Facelifting kommt da gerade rechtzeitig.