Unruhe um Kindberger Siechenhaus
Das frühere Kindberger Landespflegeheim soll schon im Herbst wieder aufsperren – als Asylheim. Weil Informationen fehlen, regiert in Kindberg nun die Ungewissheit.
Die Kindberger Ortsdurchfahrt gilt als Jahrhundertprojekt. Knapp sieben Millionen Euro flossen ab 2018 in die Neugestaltung jener Einkaufsstraße, welche die Stadt mit ihren 8700 Einwohnern durchquert. Im Westen markiert ein Sportgeschäft den Anfangspunkt, gefolgt von einem Tapetenfachmann, Hörgeräteakustikern, einem Korbgeschäft, dem markanten Zunftbaum, Drogerien, einem Fotogeschäft und mehreren Kaffeehäusern. Im Osten der Stadt treffen Ortsdurchfahrt und die Abfahrt der Semmeringschnellstraße aufeinander. Genau dort, wo das frühere Pflegeheim Symbol vergangener Tage ist.
Errichtet bereits 1900 unter dem wenig charmanten Namen „Siechenhaus“, wurde es immer wieder ausgebaut, ehe das Landesaltenpflegeheim seinen Betrieb 2017 aufgrund technischer Mängel einstellen musste. Seitdem warten Kommunalpolitik und Bevölkerung auf eine Nachnutzung des Gebäudes, das mit 10.000 Quadratmetern Nutzfläche viele Möglichkeiten bietet. Seit das Haus 2019 an eine Grazer Immobilienfirma verkauft wurde, gab es immer wieder Ideen. Konkret wurde es selten, vielmehr waren Überbegriffe wie Wohnungen, Büroräume und Handelsflächen zu vernehmen. Seit Freitag der Vorwoche ist jedoch alles anders, da stellte die Bundesbetreuungsagentur die Stadt vor vollendete Tatsachen. Das einstige Pflegeheim soll ab Herbst als Asylheim jenen Flüchtlingen dienen, die eine medizinische Betreuung benötigen. Das sei, erzählt man sich hinter vorgehaltener Hand, aufgrund der rasant steigenden Baukosten lukrativer – selbst wenn Strom, Gas und Wasser fehlen und die baupolizeiliche Abnahme nicht gesichert scheint.
In der Bevölkerung ist die Nachnutzung ein wesentliches Gesprächsthema, offen darüber reden will aber niemand. „Ein heikles Thema“, winkt eine Frau im Schanigarten ab, während ein Mann, der gerade die Auslagen des heimischen Modehändlers inspiziert, sagt: „Solange man noch nichts weiß, kann man dazu nichts sagen.“s ist diese Ungewissheit, die Politik wie Bevölkerung gleichermaßen irritiert. Just in Zeiten, in denen Pandemie, Inflation, Energiekrise und der Krieg in der Ukraine ihr Übriges dazu beitragen. An der fehlenden
E
Kommunikation übt auch die Politik Kritik. Bürgermeister Christian Sander (SPÖ) erfuhr quasi zeitgleich mit den Medien davon: „Wir als Gemeinde waren in keine Vorgespräche eingebunden.“Auch eine Woche später gibt es kaum Details, einzig ein fixer Ansprechpartner auf Bundesebene wurde der Stadt zugewiesen. Die ÖVP hätte sich ob ihrer Verbindung zu Landes- und Bundespartei ebenso mehr erhofft, für VP-Vizebürgermeister Josef Grätzhofer steht jedenfalls fest: „Wir sind klar dagegen.“Diese Einstellung teilt sich die Volkspartei mit den Freiheit
lichen, die sich mit zwei Aspekten gegen das Heim positioniert. Zum einen gebe es ohnehin kaum Pflegepersonal, müssen doch selbst in den Heimen des Sozialhilfeverbands rund 20 Prozent der Betten leer bleiben. Den Gemeinden entsteht dadurch ein Millionenschaden. er freiheitliche Nationalratsabgeordnete Hannes Amesbauer befürchtet wiederum, dass nicht nur pflegebedürftige Flüchtlinge kommen, weil das Haus bis zu 300 Personen Platz bieten kann und der Bund um jeden Platz ringt. Auch Bürgermeister Sander sagt: „Wir
DQuadratmeter Nutzfläche besitzt das frühere Landespflegeheim in Kindberg. Im Dezember 2017 wurde das Heim endgültig geschlossen. In Mürzzuschlag wurde damals als Ersatz ein modernes Heim für 110 Bewohner eröffnet.
wissen nicht, wer kommt.“Doch schon jetzt, so die FPÖ, sei der Bezirk Bruck-Mürzzuschlag mit dem
Haus Semmering sowie mehreren Landesunterkünften voll. Wie der Alltag im künftigen Flüchtlingsheim aussieht, wird sich im Herbst weisen. Fest steht: Sollte es sich nicht nur um bettlägerige Flüchtlinge handeln, so werden sie auch in Kindberg vermehrt zu sehen sein – und damit auch im nur 750 Meter entfernten Ortszentrum.