Der Papst als Büßer
Papst Franziskus leistet Abbitte für die Verbrechen an Amerikas Urbevölkerung. Die Geste kommt spät, zeigt aber, dass die Kirche dort stark ist, wo sie ihre Schwäche eingesteht.
Es war eine Geste, wie sie die Kirche in ihrer zweitausendjährigen Geschichte noch nie gesehen hatte, die atemberaubende Krönung eines spektakulären Pontifikats. Ein Papst bittet um Vergebung für die im Namen Jesu begangenen Irrtümer und Verbrechen. Fast ein Vierteljahrhundert ist es jetzt her, dass Johannes Paul II. in der Karwoche des Jubiläumsjahres 2000 mit seinem großen Mea Culpa eine historische Zäsur setzte. Mit seinem Bußgang zu den Ureinwohnerinnen und Ureinwohnern Kanadas tritt Papst Franziskus nun in seine Fußstapfen.
Wie sein Vorvorgänger aus Polen ist er ein furchtloser Mann. Unerschrocken hat er den Missständen im Vatikan den Kampf angesagt und beherzt die Aufmerksamkeit seiner Kirche von der obsessiven Beschäftigung mit Fragen der Sexualmoral weg hin zum sorgsamen Umgang der Menschen mit der Schöpfung gelenkt.
Und besonderer Mut war auch für diese Reise nach Kanada erforderlich. Die Last der Geschichte, der sich der Pontifex aus Argentinien dort trotz seiner angeschlagenen Gesundheit stellt, wiegt schwer. Die Verstrickung der katholischen Kirche in ein rassistisches System staatlicher Zwangsassimilierung in Schulinternaten, das Zehntausende indigene Kinder und Jugendliche ihrer Sprache, kulturellen Identität, religiösen Traditionen und in vielen Fällen sogar ihres Lebens beraubte, zählt zu den düstersten Kapiteln der Geschichte des Christentums in Amerika. Ihre auf der Gleichheit aller Menschen gründende universalistische Lehre hätte es der römischen Kirche geboten, sich schützend vor die Urbevölkerung zu stellen und diese in ihrer Eigenart und Würde zu achten. Doch stattdessen machte sie gemeinsame Sache mit den weißen Eroberern und ihrer unmenschlichen Herrschaftsideologie.
Die Symbolkraft des päpstlichen Bittgangs in den kleinen Ort Maskwacis kann nicht hoch genug veranschlagt werden –
Betreff: Gut versiegelte Vorlieben auch weil die Abbitte nicht frei von Risiko war. Zum einen gibt es in der römischen Kurie nach wie vor Kräfte, die meinen, die Kirche dürfe als Hüterin absoluter Glaubenswahrheiten keine Schwäche zeigen. Zum anderen birgt die Wiederholung so großer Gesten stets die Gefahr, inflationär zu wirken und zum leeren Ritual zu geraten. och Franziskus’ Begegnung mit Kanadas First Nations hatte nichts Theatralisches oder gar Inszeniertes. Seine Trauer an den Gräbern der toten Kinder wirkte ebenso aufrichtig wie die Freude der indigenen Gemeinschaft darüber, dass der Papst aus Rom ihren Schmerz teilt. Für beide Seiten war es eine existenzielle Erfahrung. Amerikas Ureinwohnern wird von höchster katholischer Instanz endlich die längst überfällige Anerkennung ihres Leids zuteil. Für die von Missbrauchsskandalen erschütterte Kirche ist das Mea Culpa eine Chance, um wieder Glaubwürdigkeit zu erlangen. Es hat nichts Selbstzerstörerisches, sondern zeigt, dass die Kirche dort stark ist, wo sie ihre Schwäche offen eingesteht. Ohne diesen Akt der Reue wäre kein Neuanfang möglich.
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