Besuch eines Unbequemen
Der heutige Wien-Besuch von Ungarns Premier Viktor Orbán wird nach dessen jüngsten Provokationen für den Kanzler komplizierter als gedacht.
Wenn der Nachbar vor der Tür steht, setzt man ein freundliches Gesicht auf. Man darf davon ausgehen, dass genau das heute in Wien passieren wird: Ungarns Premier Viktor Orbán macht Karl Nehammer seine Aufwartung. Der pannonische Besucher wird sich freuen: Um seine Person ist es auf dem internationalen Parkett zuletzt recht einsam geworden. Ruhig allerdings nicht. Wer, wie Orbán, gern und laut poltert und provoziert, vergrault auch einstige Freunde. Jüngster Vorfall: Viktor Orbáns Ausfälle gegen Europa bei seiner Rede in Siebenbürgen, in der er erneut zum Rundumschlag gegen seine EUPartner ausholte und gar den Niedergang der westlichen Zivilisation beschwor. Dekadent sei der Westen, am absteigenAst, zu retten wohl nur durch die Ungarn. Und dann fielen auch noch Äußerungen, die sich Orbán selbst am Stammtisch hätte sparen sollen und die jetzt auch in Österreich, vor dem Besuch des Unbequemen, für heftige Kritik sorgen. „Es gibt jene Welt, in der sich die europäischen Völker mit den Ankömmlingen von außerhalb Europas vermischen. Das ist eine gemischtrassige Welt.“Demgegenüber gebe es das Karpatenbecken, wo sich europäische Völker wie Ungarn, Rumänen, Slowaken und andere miteinander vermischten. „Wir sind bereit, uns miteinander zu vermischen, aber wir wollen nicht zu Gemischtrassigen werden“, schwadronierte der ungarische Regierungschef. Und legte dann noch ein „Witzchen“zum Holocaust und den Gaskammern nach.
Schwer vorstellbar, dass der geübte Agent Provocateur nicht welche Reaktionen er hervorrufen würde – in einer Zeit, wo er wegen Steuererhöhungen und steigender Preise auch innenpolitisch stärker unter Druck steht (siehe Bericht unten). Eine seiner engsten Vertrauten warf Orbán Rassismus vor und sprach von einer „reinen Nazi-Rede“. Das Internationale Auschwitz-Komitee äuden ßerte sich entsetzt und forderte vom österreichischen Bundeskanzler, Orbáns Aussagen bei dessen Besuch anzusprechen. „Dass Viktor Orbán seine antieuropäische Politik jetzt auch noch rassistisch unterlegt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Orbán mittlerweile jeden Bezug zu den Werten der Europäischen Union bewusst ausradiewusste,
ren will“, hieß es von den Vertretern der Holocaust-Überlebenden. Auch SPÖ, Neos und der grüne Koalitionspartner forderten von Nehammer eine klare Stellungnahme gegenüber seinem Gast.
Für den Kanzler ist die Lage recht unangenehm. „Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich das direkte und zum Sparweltmeister erziehen. Noch schlimmer ergeht es städtischen Freiberuflern, Künstlern, Pressemitarbeitern, Filmschaffenden und ContentProduzenten, die es mit der „Kata“genannten Steuerbe
Gespräch nicht scheue“, sagte er am Mittwoch nach dem Sommerministerrat. „Alles, was mit Verharmlosung zu tun hat, ist für uns inakzeptabel“, sagte Nehammer zu Orbáns Anspielungen auf den Holocaust. Österreich trage hier eine besondere Verantwortung. Zugleich wird er den Gast aus dem Nachbarland, der vor allem beim Thema noch irgendwie geschafft hatten, auch mit relativ niedrigen Löhnen ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Das ist jetzt vorbei. Das entsprechende Gesetz wurde innerhalb von 24 Stunden durchs
Migration eine Schlüsselrolle für Österreich spielt, auch nicht verprellen wollen.
Orbán ist in diesem politisch besonders brisanten Bereich wichtig für Nehammer. „Verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit beider Länder im Kampf gegen die illegale Migration“wird laut Bundeskanzleramt eines der zentralen Themen beim Treffen Nehammers mit Orbán sein. Die Zahl der illegalen Grenzübertritte ist wieder im Steigen. Orbán gilt als Hardliner in der Migrationsfrage; den Grenzzaun zu Serbien lässt er wieder um einen Meter erhöhen. Die ÖVP versucht sich auch nach dem Abgang von Sebastian Kurz als Bewahrer der geschlossenen Balkanroute gegenüber der FPÖ zu profilieren. Die jüngsten Ausfälle des ungarischen Premiers machen die Lage nun kompliziert.
Seit Jahren versucht sich Orbán innerhalb der EU als Gegenpol zu Brüssel zu positionieren – und zelebriert dabei seine Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Erst vor wenigen Tagen reiste sein Außenminister nach Moskau, um
Parlament gepeitscht. Viele Menschen müssen aufgrund der neuen Regelung ab September mit deutlich geringeren Einnahmen rechnen – bei explodierenden Preisen.
Viele, die bei der Wahl im April Orbáns Fidesz ihre Stimme gegeben haben, fühlen sich verraten. Der Premier hatte im Wahlkampf an die Kriegsangst der Menschen und ihre materiellen Existenz-Sorgen appelliert und sich als Beschützer präsentiert. Jetzt führt er selbst jene Sparmaßnahmen ein, vor denen er im Wahlkampf gegünstigung den nächsten Gasdeal zu besiegeln. Seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine brechen Orbán nun seine Freundschaften zu Polen und anderen Osteuropäern weg, die ihm unter anderem im Streit um die Rechtsstaatlichkeit lange zur Seite standen. Das Treffen mit dem österreichischen Kanzler ist für ihn daher schon per se ein Erfolg.
Was lässt der Staatsbesuch also erwarten? Zumindest auf dem Papier sollte es dabei keine Überraschungen geben, wie man aus diplomatischen Kreisen vernahm: Das entsprechende Besuchsprotokoll schaffe grundsätzlich einen „guten Rahmen“. Delegationsgespräch und Vier-Augen-Treffen sind Usus – da es eine Pressekonferenz gibt, lässt sich der Fortgang natürlich nicht völlig steuern. „Überraschungselemente“sollen aber durch abgesteckte Szenarien so weit wie möglich ausgeschlossen werden. Die jüngsten Äußerungen Orbáns, auf die es „noch nicht so viele Reaktionen gegeben hat“, lassen diesen Staatsbesuch wohl „heikler“werden, heißt es. warnt hatte – und derer er die Opposition bezichtigt hatte.
Zehntausende Menschen gingen wegen des „Kata“-Gesetzes tagelang auf die Straße und besetzten Brücken in Budapest und einigen ländlichen Städten. Viele haben noch gar nicht ausgerechnet, wie viel mehr sie für Gas und Strom zahlen werden. Viktor Orbán braucht jetzt Sündenböcke mehr denn je. Kein Wunder also, dass die „gemischtrassigen” west-europäischen Städte als neuer Gefahrenherd in seiner Rede auftauchten.