Kleine Zeitung Steiermark

Besuch eines Unbequemen

Der heutige Wien-Besuch von Ungarns Premier Viktor Orbán wird nach dessen jüngsten Provokatio­nen für den Kanzler komplizier­ter als gedacht.

- Von Nina Koren und Thomas Golser

Wenn der Nachbar vor der Tür steht, setzt man ein freundlich­es Gesicht auf. Man darf davon ausgehen, dass genau das heute in Wien passieren wird: Ungarns Premier Viktor Orbán macht Karl Nehammer seine Aufwartung. Der pannonisch­e Besucher wird sich freuen: Um seine Person ist es auf dem internatio­nalen Parkett zuletzt recht einsam geworden. Ruhig allerdings nicht. Wer, wie Orbán, gern und laut poltert und provoziert, vergrault auch einstige Freunde. Jüngster Vorfall: Viktor Orbáns Ausfälle gegen Europa bei seiner Rede in Siebenbürg­en, in der er erneut zum Rundumschl­ag gegen seine EUPartner ausholte und gar den Niedergang der westlichen Zivilisati­on beschwor. Dekadent sei der Westen, am absteigenA­st, zu retten wohl nur durch die Ungarn. Und dann fielen auch noch Äußerungen, die sich Orbán selbst am Stammtisch hätte sparen sollen und die jetzt auch in Österreich, vor dem Besuch des Unbequemen, für heftige Kritik sorgen. „Es gibt jene Welt, in der sich die europäisch­en Völker mit den Ankömmling­en von außerhalb Europas vermischen. Das ist eine gemischtra­ssige Welt.“Demgegenüb­er gebe es das Karpatenbe­cken, wo sich europäisch­e Völker wie Ungarn, Rumänen, Slowaken und andere miteinande­r vermischte­n. „Wir sind bereit, uns miteinande­r zu vermischen, aber wir wollen nicht zu Gemischtra­ssigen werden“, schwadroni­erte der ungarische Regierungs­chef. Und legte dann noch ein „Witzchen“zum Holocaust und den Gaskammern nach.

Schwer vorstellba­r, dass der geübte Agent Provocateu­r nicht welche Reaktionen er hervorrufe­n würde – in einer Zeit, wo er wegen Steuererhö­hungen und steigender Preise auch innenpolit­isch stärker unter Druck steht (siehe Bericht unten). Eine seiner engsten Vertrauten warf Orbán Rassismus vor und sprach von einer „reinen Nazi-Rede“. Das Internatio­nale Auschwitz-Komitee äuden ßerte sich entsetzt und forderte vom österreich­ischen Bundeskanz­ler, Orbáns Aussagen bei dessen Besuch anzusprech­en. „Dass Viktor Orbán seine antieuropä­ische Politik jetzt auch noch rassistisc­h unterlegt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Orbán mittlerwei­le jeden Bezug zu den Werten der Europäisch­en Union bewusst ausradiewu­sste,

ren will“, hieß es von den Vertretern der Holocaust-Überlebend­en. Auch SPÖ, Neos und der grüne Koalitions­partner forderten von Nehammer eine klare Stellungna­hme gegenüber seinem Gast.

Für den Kanzler ist die Lage recht unangenehm. „Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich das direkte und zum Sparweltme­ister erziehen. Noch schlimmer ergeht es städtische­n Freiberufl­ern, Künstlern, Pressemita­rbeitern, Filmschaff­enden und ContentPro­duzenten, die es mit der „Kata“genannten Steuerbe

Gespräch nicht scheue“, sagte er am Mittwoch nach dem Sommermini­sterrat. „Alles, was mit Verharmlos­ung zu tun hat, ist für uns inakzeptab­el“, sagte Nehammer zu Orbáns Anspielung­en auf den Holocaust. Österreich trage hier eine besondere Verantwort­ung. Zugleich wird er den Gast aus dem Nachbarlan­d, der vor allem beim Thema noch irgendwie geschafft hatten, auch mit relativ niedrigen Löhnen ihren Lebensunte­rhalt zu verdienen.

Das ist jetzt vorbei. Das entspreche­nde Gesetz wurde innerhalb von 24 Stunden durchs

Migration eine Schlüsselr­olle für Österreich spielt, auch nicht verprellen wollen.

Orbán ist in diesem politisch besonders brisanten Bereich wichtig für Nehammer. „Verstärkte grenzübers­chreitende Zusammenar­beit beider Länder im Kampf gegen die illegale Migration“wird laut Bundeskanz­leramt eines der zentralen Themen beim Treffen Nehammers mit Orbán sein. Die Zahl der illegalen Grenzübert­ritte ist wieder im Steigen. Orbán gilt als Hardliner in der Migrations­frage; den Grenzzaun zu Serbien lässt er wieder um einen Meter erhöhen. Die ÖVP versucht sich auch nach dem Abgang von Sebastian Kurz als Bewahrer der geschlosse­nen Balkanrout­e gegenüber der FPÖ zu profiliere­n. Die jüngsten Ausfälle des ungarische­n Premiers machen die Lage nun komplizier­t.

Seit Jahren versucht sich Orbán innerhalb der EU als Gegenpol zu Brüssel zu positionie­ren – und zelebriert dabei seine Nähe zum russischen Präsidente­n Wladimir Putin. Erst vor wenigen Tagen reiste sein Außenminis­ter nach Moskau, um

Parlament gepeitscht. Viele Menschen müssen aufgrund der neuen Regelung ab September mit deutlich geringeren Einnahmen rechnen – bei explodiere­nden Preisen.

Viele, die bei der Wahl im April Orbáns Fidesz ihre Stimme gegeben haben, fühlen sich verraten. Der Premier hatte im Wahlkampf an die Kriegsangs­t der Menschen und ihre materielle­n Existenz-Sorgen appelliert und sich als Beschützer präsentier­t. Jetzt führt er selbst jene Sparmaßnah­men ein, vor denen er im Wahlkampf gegünstigu­ng den nächsten Gasdeal zu besiegeln. Seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine brechen Orbán nun seine Freundscha­ften zu Polen und anderen Osteuropäe­rn weg, die ihm unter anderem im Streit um die Rechtsstaa­tlichkeit lange zur Seite standen. Das Treffen mit dem österreich­ischen Kanzler ist für ihn daher schon per se ein Erfolg.

Was lässt der Staatsbesu­ch also erwarten? Zumindest auf dem Papier sollte es dabei keine Überraschu­ngen geben, wie man aus diplomatis­chen Kreisen vernahm: Das entspreche­nde Besuchspro­tokoll schaffe grundsätzl­ich einen „guten Rahmen“. Delegation­sgespräch und Vier-Augen-Treffen sind Usus – da es eine Pressekonf­erenz gibt, lässt sich der Fortgang natürlich nicht völlig steuern. „Überraschu­ngselement­e“sollen aber durch abgesteckt­e Szenarien so weit wie möglich ausgeschlo­ssen werden. Die jüngsten Äußerungen Orbáns, auf die es „noch nicht so viele Reaktionen gegeben hat“, lassen diesen Staatsbesu­ch wohl „heikler“werden, heißt es. warnt hatte – und derer er die Opposition bezichtigt hatte.

Zehntausen­de Menschen gingen wegen des „Kata“-Gesetzes tagelang auf die Straße und besetzten Brücken in Budapest und einigen ländlichen Städten. Viele haben noch gar nicht ausgerechn­et, wie viel mehr sie für Gas und Strom zahlen werden. Viktor Orbán braucht jetzt Sündenböck­e mehr denn je. Kein Wunder also, dass die „gemischtra­ssigen” west-europäisch­en Städte als neuer Gefahrenhe­rd in seiner Rede auftauchte­n.

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APA Mit seinen Rassentheo­rien und einem Holocaust-„Witz“sorgt Orbán für Empörung
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APA In ´mehreren Städten Ungarns kam es zu Protesten

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