„Für uns ist dieses Referendum ein Hohn“
Abstimmen auf dem Schlachtfeld: Heute enden die von Russland in den besetzten ukrainischen Gebieten veranstalteten Referenden über deren Beitritt zu Russland.
Seit Freitag müssen die Kinder in Cherson nicht in die Schule, der Herbst ist sonnig und 16 Grad warm. Aber die Straßen der südukrainischen Großstadt sind leer. Und das nicht nur, weil die Einheimischen Angst vor den Streifen der zusehends schlecht gelaunten Besatzungssoldaten haben. Und vor den Geschossen und Sprengsätzen, die häufig im Stadtgebiet explodieren.
Sie fürchten jetzt vor allem die sogenannte Volksabstimmung, wegen der die Russen auch die Lehranstalten für fünf Tage geschlossen haben. „Alle fürchten, dass sie einer mobilen Wahlkommission in die Hände fallen und gezwungen werden, abzustimmen“, erzählt Stanis„Nur: law (der vollständige Name ist der Redaktion bekannt), 37, Werbetexter. „Für uns ist diese Abstimmung ein Hohn.“
Cherson, strategisch wichtig an der Mündung des Dnipro zum Schwarzen Meer gelegen, ist die einzige Gebietshauptstadt der Ukraine, die die russische Armee seit dem Beginn ihrer Angriffe im Februar einnehmen konnte. In Cherson bekamen die Russen es erst mit Protestkundgebungen unter wehenden blaugelben Fahnen zu tun, dann mit stillschweigender Verweigerung und Sprengstoffanschlägen. Jetzt droht ihnen gar eine militärische Katastrophe: Die Ukrainer nutzten ihre neuen, treffsicheren Nato-Haubitzen, um mehrere Brücken über den Dnipro zu zerschießen, jetzt müssen bis zu 20.000 russische Soldaten im Brückenkopf um Cherson fürchten, abgeschnitten und aufgerieben zu werden. Aber laut „New York Times“hat Wladimir Putin die Bitte seiner Generäle abgelehnt, die bedrohten Truppen über den Fluss zurückzuziehen. Cherson soll wie die von Russland kontrollierten Teile der Regionen Donezk, Luhansk und Saporischschja dafür stimmen, dass es russisches Staatsgebiet wird. Diese Stadt will Putin nicht mehr hergeben.
Das Referendum oder Pseudoreferendum, wie es die Ukrainer nennen, ist in vollem Gange. In Luhansk und Donezk sollen am Sonntagvormittag bereits 76 Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt haben, in Saporischschja und Cherson über 50 Prozent der Wähler.
50 Prozent welcher Wähler?“, spottet Stanislaw. Er glaubt nicht, dass die Besatzungsbehörden überhaupt wissen, wie viele der 290.000 Chersoner, die vor dem Krieg in der Stadt lebten, noch hier sind. Und von denen machten nur zwei bis drei Prozent gemeinsame Sache mit dem Russen.
Ziel der Abstimmung ist es, dass zumindest auf dem Papier eine imposante Mehrheit die Abstimmungsfrage mit einem Ja beantwortet: „Sind Sie dafür, dass die Region Cherson aus der Ukraine austritt, einen eigenen Staat bildet und als vollberechtigtes Subjekt der Russischen Föderation beitritt?“
Die Frage lässt offen, wann Russland Cherson danach zu seinem Bestandteil erklären wird. „Es sind mobile Kolonnen