Was Kurz sagen sollte
Ex-Kanzler Sebastian Kurz steht heute dem U-Ausschuss erneut Rede und Antwort. Er könnte das nutzen, sich als Justizopfer zu inszenieren – oder ehrlich zu reflektieren.
Wer als Auskunftsperson vor einen Untersuchungsausschuss geladen ist, hat dort die Möglichkeit, ein kurzes Eingangsstatement abzugeben. Manche nutzen diese Gelegenheit, um der folgenden Befragung und ihrer Deutung ihren „Spin“mitzugeben – quasi, um ein wenig mitbestimmen zu können, wie sie in Erinnerung bleiben.
Wenn Ex-Kanzler Sebastian Kurz heute Vormittag zu seiner Aussage ins Parlament zurückkehrt, gibt es zwei Möglichkeiten, wie er diese Gelegenheit nutzen könnte. Die erste: Er stellt sich als Opfer einer wildgewordenen Justiz dar.
Mehr als zwei Jahre sei es her, könnte er sagen, dass er im Juni 2020 vor einem anderen Untersuchungsausschuss ausgesagt hatte, nichts mit der Bestellung von Thomas Schmid zum Chef der Staatsholding zu tun gehabt zu haben. Auf Basis dieser Aussage ermittelt die Korruptionsstaatsanwaltschaft, ob Kurz sich der Falschaussage schuldig gemacht haben könnte.
Mehr als ein Jahr sei mittlerweile die Einvernahme durch einen Richter und einen Staatsanwalt her. Eine lange Zeit, in der er, nunmehr ein einfacher Bürger, und seine Familie mit dem Damoklesschwert eines Strafverfahrens leben müssten. Und das, obwohl die Fakten – darunter etwa die Chats zwischen Kurz und Schmid – längst aktenkundig seien.
Kurz, dem Meister der eingängigen, verkürzten Darstellung, würde man kaum widersprechen können; dass aus prozessualen Gründen die ungleich größere Ermittlung zum „Beinschab-Komplex“mit Steuergeld gekaufter ÖVP-Umfragen fertiggestellt werden muss, statt den vergleichsweise simplen Falschaussagen-Verdacht auszukoppeln und entweder einzustellen oder anzuklagen, ist kaum vermittelbar.
Oder Kurz entscheidet sich für die zweite Möglichkeit – und spricht von sich aus an, welch katastrophales Licht die diversen Enthüllungen im und um den U-Ausschuss auf seine
Amtszeit(en) werfen. Dass Posten in Staatsbetrieben zwischen ÖVP und FPÖ (und später, Stichwort ORF-„Sideletter“, auch mit den Grünen) ausgedealt wurden, als gäbe es kein Morgen. Dass er per Direktzugriff auf Generalsekretäre und handverlesene Kabinettsmitarbeitern seine eigenen Minister zur bloßen Staffage degradiert hatte; dass in seiner nächsten Umgebung viel Steuergeld in die Hand genommen wurde, um ihm gute Schlagzeilen am Boulevard zu kaufen. a, könnte er sagen, mein Team und ich haben unter anderen Vorzeichen genau jenes System fortgeschrieben und auf die Spitze getrieben, das aufzubrechen wir angetreten sind. Und er könnte seinen Erben in der Koalition nahelegen, schnellstmöglich schärfere Antikorruptions- und Transparenzgesetze zu beschließen.
Beide Statements kann man argumentieren. Aber nur eines davon würde ehrliche Reflexion und staatsmännische Größe repräsentieren. Und vielleicht den Weg ebnen, wenn schon nicht für Sebastian Kurz, dann zumindest für die ÖVP, einen Neuanfang einzuleiten.
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