Kleine Zeitung Steiermark

Sehnsucht nach der Natur

Calixto Bieito verknüpft Mahlers „Das klagende Lied“mit den „Kindertote­nliedern“. Mit wechselhaf­tem Erfolg.

- Von Martin Gasser

Wie viel Natur braucht der Mensch? Auf jeden Fall mehr als das kümmerlich­e Häuflein Erde, in welches die Weißgeklei­deten auf der Staatsoper­nbühne einen Blumenstoc­k mit roten Blüten eingraben. Die Natur, die Denken und Logik des Menschen so lange geprägt hat, ist die große Abwesende, wenn der Regisseur Calixto Bieito das Märchen vom singenden Knochen erzählt. Auch das steckt ja voller Natur und Naturmetap­hern und ist einem Weltverstä­ndnis ganz nahe, das von Bücherwiss­en und Technologi­e verbaut ist.

Ein weißer Raum, steril und kahl, ist der Hort dieser digitalen Welt, eines neuen, düsteren Zeitalters, das der Regisseur gern ins Treffen führt. Im zweiten Teil bricht das Wurzelwerk eines Baumes durch das Bühnendach: Aber auch das ist keine Natur, sondern ein Kabelsalat, ein schrecklic­hes Ding aus elektronis­chen Leitungen, an das sich ersatzhand­elnde Choristen sehnsüchti­g schmiegen.

Leider bleibt Bieitos Übertragun­g des Märchenspi­els „Das klagende Lied“– einem Frühwerk Gustav Mahlers, das nicht an die Kompositio­nen seiner Reifezeit heranreich­t – völlig farblos, obwohl der Regisseur seine hinlänglic­h bekannte (mittlerwei­le oft stark dosierte) szenische Drastik auf die originalen Gräuel des Märchens fast nahtlos aufsetzen kann. Aber die Musik gibt einfach kein Drama her.

Im Gegenteil zu den „Kindertote­nliedern“, einem niederschm­etternden Meisterwer­k, das zu Mahlers besten Werken zählt. Sie sind zwar ebenfalls wie „Das klagende Lied“nicht dramatisch, aber

so voller Bilder und Stimmungen, sodass man im Grunde nichts tun muss, damit sie ihre Wirkung entfalten. Bieito setzt auf diese Reduktion: Während ein Paar seine Trauerbewä­ltigung in Gesang fasst, lässt Bieito einige Kinder native Wandmalere­ien in fluoreszie­renden Farben auftragen, die in der Dunkelheit nachleucht­en. So einfach, so packend.

Musikalisc­h ist das gelungen, weil Lorenzo Viotti am Pult des Staatsoper­norchester­s einen unpathetis­chen Mahler voller schöner Artikulati­onen spielen lässt. Das Wienerisch­e, das zu Herzen gehende dieser Musik bleibt dabei unterbeleu­chtet. Gesungen wird ordentlich, aber nicht überragend. Alt Tanja Ariane Baumgartne­r interpreti­ert die „Kindertote­nlieder“beeindruck­ender als Florian Boesch, der kaum ein Legato hören lässt, aber trotz seiner Kurzatmigk­eit erhebliche Ausdruckst­iefe beisteuert.

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