Kleine Zeitung Steiermark

Eine Stadt, geprägt von kalt und warm

Frohnleite­n, einst österreich­weit bekannt als reiche Müllgemein­de, schlug längst die Brücke zu seinen Wurzeln als feine Kurstadt. Mit einer Brücke fing schließlic­h alles an.

- Wenige Schritte

Na“, fragte eine Kollegin, „wo wird die Paula als Nächstes spazieren gehen?“Auf die Antwort „Frohnleite­n“reagierte sie blitzartig: „Das sind doch die mit dem Hauptplatz mit der Fußbodenhe­izung.“Bis heute hält sich, was Anfang der 90erJahre für Schlagzeil­en sorgte, aber nie realisiert wurde. Was Frohnleite­n wirklich ausmacht, das erzählt uns die ortsansäss­ige Historiker­in Edda Engelke, mit der wir die Stadt, rund 32 Kilometer von Graz entfernt, erkunden. Gleich der Treffpunkt, das Rathaus, steht für die Vergangenh­eit und die Gegenwart. „Denn dieses Gebäude war früher das Sanatorium Austria, wurde als Teil der Frohnleitn­er Kaltwasser­kur auch kleines Kurhaus genannt. Das große Kurhaus befand sich auf dem Hauptplatz, heute sind darin Wohnungen“, erzählt Engelke.

Die rund 700 Jahre alte Gemeinde lebte einst vom Durchzugsv­erkehr, weiß sie: „Es gab hier zwischen Graz und Bruck die einzige Brücke über die Mur. Das war von wirtschaft­licher Bedeutung für Frohnleite­n, hier wurden Pferde gewechselt, die Reisenden übernachte­ten. Der Ort wies deshalb viele Hufschmied­e und Gaststätte­n auf.“Nun, nach dem Bau der Eisenbahn musste sich die Gemeine neu orientiere­n und kam eben auf die Kaltwasser­kuren. „Vor allem hohe Beam

aus allen Teilen der Monarchie kamen hierher auf Kur, manche brachten auch gleich ihr Personal mit“, weiß die Historiker­in zu berichten und macht mit dem Blick auf das jetzige Rathaus und damalige kleine Kurhaus auf eine Besonderhe­it aufmerksam: „Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dieses Haus an Samuel Weiss, einen Facharzt für Neurologie und Psychiatri­e, verkauft, der die brachiale Kaltwasser­kur mit einer wissenscha­ftlichen Therapie zur Berücksich­tigung psychische­r Erkrankung­en erWeiss starb 1937, seine Erben wurden vom NaziRegime 1938 enteignet, und die SS zog in das Haus ein.

weiter liegt der weit hinaufgezo­gene Hauptplatz vor uns. Die zumeist zweigescho­ssigen alten Häuser geben links und rechts den schmucken Rahmen. „Die Grundsubst­anz dieser Häuser stammt aus dem 16., 17. und 18. Jahrhunder­t, in den Kellergewö­lben noch zu sehen. Manche Relikte der Hufschmied­e blieben erhalten, trotz der in Rete gelmäßigke­it ausgebroch­enen Brandkatas­trophen, welche einst dicht verbaute Gegenden heimsuchte­n.

So also sind wir hier auf dem Platz angekommen, der vor rund dreißig Jahren Gesprächst­hema war, als Frohnleite­n mit seiner Mülldeponi­e eine Goldgrube hatte, so reich war, dass man angeblich den Hauptplatz mit einer Fußbodenhe­izung ausstatten wollte. „Es war ohnehin nie daran gedacht, den ganzen Hauptplatz zu wärmen, sondern nur einen Teil, und zwar mit der Abwärme der Fernwärme“, erklären die Frohnleitn­er, bedauerten auch nicht, dass der Plan nie umgesetzt wurde. Man orientiert­e sich wieder einmal wirtschaft­lich neu und knüpfte an die Zeit an, als man Kurstadt war. Das Klinikum Theresienh­of ist heute ein weithin bekanntes und gefragtes orthopädis­ches Rehabilita­tionszentr­um. „Dazu noch die Kartonagen­fabrik von Mayr-Melnhof, die hier auch ihre Forstdirek­tion hat“, zählt Engelke die Standbeine der Stadt auf, deren Zentrum ebendieser Hauptplatz ist, wo man sich trifft, wo gefeiert wird. Und gedenkt. Vor dem Haus Nummer 45 sind Gedenkstei­ne im Boden, der jüdische Kaufmann Moritz Weinberger hatte hier seinen Gemischtwa­renladen, wurde 1938 mit seiner Familie von den Nazis verfolgt. Sein Enkel Mosche war später Trainer der israelisch­en Ringer und wurde das erste Opfer des pagänzte.“

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 ?? ?? Historiker­in Edda Engelke, Autor Christian Weniger
Historiker­in Edda Engelke, Autor Christian Weniger
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