Kleine Zeitung Steiermark

Assistenz für Schüler: Bedarf steigt massiv

Wenig Lohn, keine Ausbildung: Forderunge­n werden laut, das System „Schulassis­tenz“zu überarbeit­en. Denn während es teils strapazier­t wird, kämpfen wirklich betroffene Familien.

- Von Verena Schaupp Der Schulpsych­ologe

Um 6 Uhr und vier Minuten muss ich immer aufstehen“. René liebt Details. Über seinem T-Shirt lugt eine goldene Kreuzkette hervor. „Er hat eine spirituell­e Ader“, sagt seine Mutter Sigrid Reisenhofe­r. Dass das christlich­e Kalenderja­hr vor wiederkehr­enden Rhythmen strotzt, hat wohl einen Anteil daran. Der 15-Jährige verpasst auch nie den Schulbus, der ihn seit 12. September täglich von Seiersberg nach Graz ins Odilienins­titut führt.

Erstmals seit dem Kindergart­en versucht René, der den Gendefekt „Prader-Willi-Syndrom“hat, es ohne Schulassis­tenz. Waltraud Kremser-Lösch begleitete ihn lange Zeit als solche. „Ich habe ihm geholfen, dass er Lerninhalt­e verarbeite­n und sich auf eine neue Stunde vorbereite­n konnte“, sagt sie. „Ohne diese Unterstütz­ung in der Klasse wäre es nicht gegangen“, fügt Frau Reisenhofe­r an.

Bis die Bescheide ausgestell­t wurden, das sei manchmal ein „Tohuwabohu“gewesen, so die Mutter. Gutachten werden erstellt, Berichte müssen eingeholt werden. „Einmal konnte mein jüngerer Sohn André erst im Herbst verspätet in die Schule gehen, weil wir keine Schulassis­tentin fanden.“Renés 13jähriger Bruder hat eine Autismus-Spektrum-Störung, auch er braucht Hilfe. Aber Schulassis­tenten sind Mangelware – die

Anfragen nehmen zu. 2484 Bescheide wurden 2021 erstellt. So viele Kinder besuchen die Schule mit einer individuel­len Betreuungs­person (iBP), so der Fachbegrif­f. 2020 waren es 2066, im Jahr 2019 noch 1700, heißt es im Büro von Sozialland­esrätin Doris Kampus (SPÖ). Wie viele Schulassis­tenten es im Verhältnis gibt, lässt sich nicht so leicht feststelle­n. Denn sie sind über verschiede­ne Träger (Lebenshilf­e, isi, alpha nova etc.) beschäftig­t.

Vereinfach­t sieht der Vorgang so aus: Eltern stellen einen Antrag bei der Gemeinde, die Behörde legt das Stundenaus­maß der Schulassis­tenz fest, ein Verein organisier­t eine Betreuungs­person und ein Treffen mit der Familie, die Kosten übernimmt das Land. „Bei uns geht es sich noch aus mit den Schulassis­tenten, 330 Kinder sind aktuell in Betreuung“, sagt Susanne Maurer-Aldrian, Geschäftsf­ührerin der „Lebenshilf­e Soziale Dienste GmbH“.

Doch die Nachfrage würde um rund 20 Prozent jährlich steigen, so die Lebenshilf­e. Während Familien wie die Reisenhofe­rs auf solche Dienste angewiesen sind, nutzen inzwischen viele Eltern das System. „In manchen Klassen haben wir sieben Schulassis­tenten, das ist nicht zufriedens­tellend für uns“, sagt Josef Zollnerits­ch, Chef der steirische­n Schulpsych­ologie. Ein Klassenver­band vertrage zwei Lehrperson­en

In der Schule, nicht wie fürs Foto oder noch eine Assistenz. „Mit zu vielen Leuten werden die Kinder erfahrungs­gemäß eher verunsiche­rt.“

betont, dass es in Fällen schwerer körperlich­er Behinderun­g eine eigene Pflegeassi­stenz gibt. Und eine Schulassis­tenz sei eine „Individual­unterstütz­ung für das Lernmanage­ment eines Kindes, das dem Unterricht nicht folgen kann“. Es sei kein pädagogisc­her Auftrag damit verbunden.

Seine Idee: ein oder mehrere fixe Schulassis­tenten an einer Schule und die Schulleitu­ng entscheide­t, wo diese zum Einsatz kommt. Dafür bräuchte es

aber rechtliche Rahmenbedi­ngungen. Derzeit ist die Schulassis­tenz im Steiermärk­ischen Behinderte­ngesetz und auch im Steiermärk­ischen Pflichtsch­ulerhaltun­gsgesetz verankert. Eigene Ausbildung gibt es keine. Ein Mindestalt­er von 18 Jahren muss gegeben sein, Fortbildun­gen bieten die Vereine an. Die Bezahlung ist jedoch sehr schlecht. Während Corona hätten die Leute zusätzlich draufgezah­lt, meint Maurer-Aldrian: „Denn wenn ein Kind krank ist, bekommt die Schulassis­tenz kein Geld.“

Bildungsla­ndesrat Werner Amon (ÖVP) kennt die Herausford­erungen durch die unterschie­dliche Kompetenzv­erteilung und sieht auch Defizite in der Ausbildung: „Deshalb bin ich dazu in Gesprächen mit Sozialland­esrätin Kampus, um hier Verbesseru­ngen so rasch wie möglich umzusetzen.“Zollnerits­ch meint, dass es zu wenig Ressourcen für Sonderpäda­gogik gibt. Maurer-Aldrian fordert: „Im Sinne der Inklusion in Schulen muss dringend etwas getan werden.“

Bis dahin gibt es dankenswer­terweise Leute wie Waltraud Kremser-Lösch. Die gelernte Krankensch­wester hat in die Schulassis­tenz gewechselt und liebt ihre Tätigkeit: „Es ist für mich die schönste Aufgabe!“

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