Zur Person
handeln. Es vergeht immer ein Zeitraum von zwölf bis 18 Monaten, bis Effekte aus der Geldpolitik bei der Inflation zu sehen sind. Je länger die Inflation hoch ist, desto stärker setzt sich das in den Köpfen der Leute fest. Dann stellt man sein Forderungsverhalten als Arbeitnehmer um. Aber auch jenes als Unternehmen, und man beginnt mit der Preisüberwälzung.
Also auch ein psychologischer Faktor?
Warum können wir nicht mit zehn Prozent Inflation leben? Je höher die Inflation ist, desto schwieriger sind relative Preisveränderungen einzuschätzen. Und diese Preise sind wichtig für Konsum- und Investitionsentscheidungen. Hohe Inflation geht auf Kosten rationaler ökonomischer Entscheidungen.
In Deutschland wird für den Winter eine Rezession prognostiziert. Werden die Zinsen weiter er
geboren 1949 in Leoben. Wirtschaftswissenschaften in Graz, Wien und Grenoble.
für die OECD, den Internationalen Währungsfonds und von 1997 bis 2011 bei der Weltbank. Zahlreiche Lehraufträge.
Im Jänner 2019 als Gouverneur der Österreichischen Nationalbank nominiert, im September 2019 folgte er Ewald Nowotny nach. höht, wenn es in so gewichtigen Volkswirtschaften zu eklatanten Wirtschaftseinbrüchen kommt? Unser Mandat ist die Preisstabilität. Wir unterstützen die Wirtschaft und Konsumenten, wenn wir wieder das Inflationsziel von zwei Prozent erreichen. Falls es zu einer Rezession kommt, dann hat das, bei allen negativen Folgen, für den Preissenkungseffekt per se Vorteile, denn eine geringere Nachfrage bedeutet weniger Preisdruck.
Wird es auch in Österreich eine Rezession geben?
Das ist derzeit nicht mit Sicherheit zu sagen, aber wenn eine kommt, dann besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht lange anhält. Deutschland könnte es etwas stärker treffen – mit gewaltigen Strukturverschiebungen.
In welchen Bereichen?
Es könnte zu Rückgängen in der energieintensiven Industrie kommen. Deutschland und auch Österreich haben lange vom billigen Gas aus Russland profitiert – das hat aber auch zu hohen Abhängigkeiten in der Industrie geführt. Wenn diese billige Energie nicht mehr vorhanden ist, lässt sich das auf Dauer wahrscheinlich nicht mit Subventionen auffangen. In Deutschland ist diese Problematik noch größer als bei uns.
Die Politik steht massiv unter Druck, diese Teuerungswellen abzufedern und Hilfsprogramme aufzusetzen. Es geht um Milliardensummen, die teils ohnehin schon hohe Schuldenniveaus in einigen Euro-Ländern weiter steigern. Das nährt wiederum die Sorge, dass es zu einer neuerlichen Euro-Schuldenkrise kommen könnte. Eine berechtigte Sorge? Solche Sorgen sind immer ernst zu nehmen. In Italien wurde unter Premierminister Mario Draghi an sich eine gute Basis für eine möglichst effiziente Verwendung zur Verfügung gestellter Gelder gelegt. So sind die Gelder aus dem EU-Recovery-Fonds an genaue Vorgaben gebunden, an die auch die jetzt neue Regierung gebunden ist. Das ist wichtig. Im Moment sehe ich somit keine Gefahr von krisenhaften Entwicklungen, auch wenn das derzeitige geopolitische und wirtschaftliche Umfeld in Europa schwierig ist. Man muss sich das also immer sehr, sehr genau anschauen, um Probleme möglichst früh zu erkennen und nachzuarbeiten.
Der Euro hat gegenüber dem US-Dollar zuletzt ein 20-JahresTief nach dem anderen markiert. Wird sich das zu einem größeren Problem auswachsen?
Das glaube ich nicht. Das Hauptproblem ergibt sich aber daraus, dass ein sinkender Euro-Kurs gegenüber dem Dollar dafür sorgt, dass wir noch mehr Inflation importieren.
Die Nationalbank hat gerade wieder vor einem überhitzten Immobilienmarkt in Österreich gewarnt. Wird sich das abkühlen, wenn die Wirtschaft doch deutlich an Fahrt verliert und die Zinsen steigen?
Ja, ich glaube schon. Die gestiegene Inflation, die höheren Zinsen und das voraussichtlich schwächere Wirtschaftswachstum sollten dazu beitragen, dass sich auch die Überhitzung am Immobilienmarkt abschwächt. In dieser Preisdynamik bei den Immobilien hat sich auch ein gewisser Hype abgebildet. Die Nachfrage nach Krediten für Wohnraum hängt ja auch immer davon ab, wie die Einkommenserwartungen der Menschen sind. Wenn eine Rezession droht und damit womöglich auch die Arbeitslosigkeit steigt, dann reduzieren sich auch Einkommensmöglichkeiten. Die letzten zehn Jahre waren hier sehr dynamisch, getrieben sicherlich auch von der Verfügbarkeit des Geldes in Verbindung mit sehr geringen Chancen, auf einem Sparbuch Zinsen zu bekommen. Daher haben viele in sogenanntes „Betongold“investiert.