„Wir brauchen neue Ideen in der Kirche“
INTERVIEW. Der Grazer Dompfarrer Heinrich Schnuderl über seinen Rückzug, die Reizthemen Zölibat und Frauenpriestertum sowie die Verantwortung für Kirche von jedem Einzelnen.
Sie haben diese Woche verlautbart, als Dompfarrer zurückzutreten und in Pension zu gehen. Was sind Ihre wesentlichen Erkenntnisse von dieser Zeit?
HEINRICH SCHNUDERL: Leider wird die Stadtmitte bevölkerungsarm, es gibt fast keine Familien mehr hier. Dadurch ist die Beziehung zwischen Schule und Pfarre ebenfalls sehr eingeschränkt. Das ist vor allem für die Religionslehrer/-innen eine große Herausforderung: den Kindern zu zeigen, dass Kirche auch heißt, gemeinsam mit anderen den Glauben zu bekennen. Denn Glaube und Kirche geht ohne erfahrbare Gemeinschaft nicht. Und dafür braucht es entsprechende Erfahrungsräume.
Ihren Weg als Priester haben Sie aber am anderen Ende der Steiermark begonnen.
Ja, 1967 als Kaplan im gemischtkonfessionell geprägten Schladming. Der damalige Generalvikar war verwundert. Aber ich hatte schon evangelische Schulkollegen und konnte mir das gut vorstellen. Außerdem wollte ich weg von meiner Familie – mit der ich mich bis heute gut verstehe. Aber als Junger muss man sich abnabeln.
Nächste Station war Leoben.
Dort gab es eine neue Hochschulgemeinde. Neues Aufbauen, so etwas ist für einen jungen Priester immer interessant. Ebenso das Begleiten von Studierenden: Viele sind das erste Mal weg vom Elternhaus und suchen nach dem beruflichen Weg. Als Hochschulseelsorger habe ich auch die ganze Bandbreite kennengelernt: katholische und evangelische Studierende, aber auch liberale, sozialistische und aus dem Ausland. Das hat mich geprägt. Auch später in Graz, wo ich ab 1982 Hochschulseelsorger war.
1997 wechselten Sie dann als Pastoralamtsleiter an den Bischofplatz.
Wobei Bischof Johann Weber damals zu mir gesagt hat: „Du musst auch Pfarrer werden, sonst glauben dir die Kollegen nichts.“Damit hatte er auch recht. Darum bin ich zeitgleich Pfarrer in Graz-Thondorf geworden und zwei Jahre später Stadtpfarrpropst und damit ebenfalls Leiter des Netzwerks Stadtkirche Graz. Damals haben wir verschiedene Aktionen gestartet, etwa das Verteilen des Sonntagslichts oder eines Kerzenhalters in Fischform an alle Haushalte. Ein Austräger ist vorher zu mir gekommen, weil er große Bedenken hatte. Doch er wurde von vielen Menschen sogar in die Wohnung gebeten.
2011 hat Sie Bischof Kapellari zum Generalvikar berufen, 2015
leiteten Sie die Diözese interimistisch als Administrator. Damals hat Ihr Plädoyer für verheiratete Priester für Aufsehen gesorgt.
Mich hat gewundert, dass man das damals als etwas Besonderes gesehen hat. Mittlerweile hat sich ja sogar der Papst öffentlich dafür ausgesprochen. Ich bin überzeugt davon, dass es in der römisch-katholischen Kirche die Möglichkeit geben sollte, dass Priester heiraten und eine Familie haben. Gerade auch angesichts des Priestermangels. Wobei das nicht ein Bischof allein einführen kann, sondern im Einvernehmen mit der gesamten Kirche.
Papst Franziskus hat einen synodalen Prozess angestoßen, der die Frage beinhaltet, wie sehr Ortskirchen eigenständig sein können.
Ich bin davon überzeugt, dass die katholische Kirche künftig vielgestaltiger sein wird. Es geht dabei um die Frage, wie kann Kirche den Menschen den Zugang zu Christus, zu Gott zeigen. Daher darf dieser Prozess auch nicht nur auf Reizthemen wie Frauenpriestertum oder Zölibat abzielen, vielmehr geht es darum, die Verantwortlichkeit für Kirche für alle Gläubigen ins Zentrum zu stellen. Und diese Verantwortung muss jeder Einzelne persönlich übernehmen.
Kirche war immer eine wichtige moralische Größe in der Gesellschaft. Was wird kommen?
Ob jemand katholisch, evangelisch oder muslimisch ist: Jeder hat ein Gewissen. Das heißt, es geht um Gewissensbildung, Verantwortung zu übernehmen dem großen Ganzen gegenüber.
Und wie wird Kirche in Zukunft aussehen?
So manch Althergebrachtes hat sich überlebt. Wir brauchen neue Ideen – getragen von starken Persönlichkeiten.
Gibt es diese in der Kirche noch?
Ich glaube daran, dass es immer wieder solche Menschen gibt.