„Europa hatte keine Alternative“
INTERVIEW. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und Abgeordneter Lukas Mandl (ÖVP) über mühsame Sanktionen, Europas Weckruf und von der Leyens Zukunft.
Was sind Europas konkrete Ziele im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, was wollen wir mit allen unseren Maßnahmen erreichen?
Alles zu tun, das notwendig ist. Niemand, der jetzt mit am Entscheidungstisch sitzt, hat jemals einen Krieg erlebt. Wie schon in der Pandemie stehen wir erneut vor einer gänzlich neuen Situation. Natürlich wird die Liste der ukrainischen Forderungen an uns, um den Krieg zu gewinnen, immer länger, natürlich wird es zusehends mühsamer, an der Sanktionsschraube zu drehen, aber wir dürfen nicht vergessen: Putin rechnete damit, binnen fünf Tagen gewonnen zu haben, doch auch nach 15 Monaten ist der Widerstand der Ukraine ungebrochen. Deshalb müssen wir alles tun, um sicherzustellen, dass wir niemals von der Seite dieses Landes weichen, weil die Menschen dort für ihre und unsere Freiheit sowie gemeinsamen Werte kämpfen.
Nach Russland und der Ukraine werde Europa der große Verlierer dieses Konflikts sein – wirtschaftlich und geopolitisch: Das war die einhellige Meinung vieler Sicherheitsexperten. Stimmen Sie dem zu?
Der Krieg, die Sanktionen, die Inflation stellen die EU vor riesige Herausforderungen, das kann man unmöglich bestreiten, aber ebenso richtig ist: Geostrategisch hatten wir keine Alternativen. Es ist uns gelungen, unsere Flanke im Osten zu stärken, im Norden werden mit Schweden und Finnland zwei Staaten der Nato neu beitreten. Der Weckruf für Europa war der überstürzte Abzug der USA aus Afghanistan im Sommer 2021 ohne Rücksicht auf ihre europäischen Verbündeten. Das hat uns gezeigt, dass wir die Lösung globaler Probleme
nicht länger anderen überlassen können.
„The Economist“hat Österreich und seine besonderen russischen Beziehungen kürzlich kritisch beleuchtet. Vor allem die Freiheitlichen in Österreich fordern das Aus für die Sanktionen und üben damit Druck auf die anderen Parteien aus.
Eine deutliche Mehrheit der österreichischen Abgeordneten sowohl im EUParlament als auch im Nationalrat steht hinter den Sanktionen und unterstützt die Ukraine in ihrem Freiheitskampf. Russland unter Wladimir Putin will nicht verhandeln, das müssen wir uns immer wieder vor Augen halten.
Im Juni 2024 stehen die Wahlen zum Europäischen Parlament an. Wird Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen noch einmal Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei?
METSOLA. Ich habe bereits gesagt, dass Ursula von der Leyen meiner Meinung nach sehr gute Arbeit geleistet hat. Sollte sie weitermachen wollen, bin ich davon überzeugt, dass sie große Unterstützung finden wird.
Falls nicht, würde Sie das Amt der Kommissionspräsidentin reizen?
Ich habe als Parlamentspräsidentin eine wichtige Aufgabe, die ich gerne weiter ausfüllen möchte.
Fraktionschef Manfred Weber will die Reihen der EVP stärken, indem er etwa die EU-Abgeordneten der postfaschistischen „Fratelli d’Italia“, der Partei der italienischen Ministerpräsidentin Georgia Meloni, umwirbt. Das betrachten manche im EU-Parlament mit Argwohn?
MANDL. Im EU-Parlament war die Zusammensetzung der Parteifamilien schon immer ein dynamischer Prozess. Grundsätzlich unterstütze ich Weber bei seinem Zugang, mit anderen Parteien zu reden, insbesondere im Fall von Meloni als Person und Premierministerin. Bis dato hat sie, sehr zur Überraschung vieler Beobachter, einen guten und für Europa konstruktiven Job als Regierungschefin dieses wichtigen EU-Mitglieds gemacht. Was eine Aufnahme ihrer in Teilen nach wie vor problematischen Partei in die EVP angeht, bin ich für Gespräche, aber ergebnisoffene.