„Ich sehe mich als Aktivistin“
Romana Ull folgt auf Johannes Gepp als Naturschutzbund-Präsidentin. Die Biologin will aktivistisch auftreten und unterstützt die Klima-Klebe-Aktionen. Die Zeit des „Lieb-Seins“sei vorbei. Wechsel an der Spitze des steirischen Naturschutzbunds.
Sie treten nächstes Jahr in die Fußstapfen von Johannes Gepp. Wie verstehen Sie Ihre künftige Rolle an der Spitze des steirischen Naturschutzbunds?
Meine Aufgabe ist es, unser Team zu formen und mit den vielen Menschen Naturschutz auf allen Ebenen zu betreiben. Ich sehe mich nicht als Einzelkämpferin. Ich will motivieren und die Menschen zusammenführen, um für die Natur zu arbeiten.
Stimmt der Eindruck, dass das allgemeine Interesse an einer intakten Natur steigt?
Die persönliche Betroffenheit ist bei den meisten groß, wenn es um Naturraum geht. Aber die systemischen Kräfte, die gegen die Natur arbeiten, sind genauso stark. Leider erzeugt die Betroffenheit nicht den Widerstand gegen den Naturverlust, wie es ihn geben sollte.
Was konkret meinen Sie mit den systemischen Kräften?
Ich weiß, das ist jetzt gefährliches Terrain, aber da geht es auch um das Thema der erneuschauen. erbaren Energien. Die werden als Allheilmittel gesehen, das Klima zu retten, ohne zu beachten, dass vieles direkt der Biodiversität schadet. Und der Verlust an Biodiversität ist neben der Klimakrise die zweite große Katastrophe, vor der wir stehen. Nur ist diese Katastrophe bei den Menschen noch nicht so angekommen. Es heißt dann: Gibt’s halt einen Käfer oder einen Fisch weniger. Dass wir damit aber immer weiter unseren eigenen Lebensraum, unsere Lebensgrundlagen destabilisieren, wird zu wenig gesehen.
Sie meinen damit vor allem die Wasserkraft?
Ja, aber nicht nur die. Es geht etwa auch um Photovoltaik auf wertvollen Flächen. Wenn Photovoltaik in die Fläche geht, ohne vorher die gesamten Dächer genutzt zu haben, können wir dazu nicht einfach Ja sagen. Bei der Wasserkraft geht es um aquatische Lebensräume. Wenn wir die Fließgewässer derartig denaturieren, wie es die Wasserkraft macht, gehen sie als Biodiversitätsräume verloren.
Auch wenn heute etwa Fischaufstiege vorgeschrieben sind – es gibt keine Fischabstiege. Damit müssen die Fische durch die Turbinen, wo es ihnen die Schwimmblasen und andere Organe zerfetzt. Die tatsächliche Durchgängigkeit der gängigen Kraftwerke ist für Fische minimal. Wir haben bereits 80 Prozent der interessanten Fließstrecken für die Wasserkraftnutzung aufgegeben. Die übrigen 20 Prozent sollten wir als letzte Ressourcen für Tiere und Pflanzen bewahren.
Keine Wasserkraft mehr, keine Photovoltaik in der Fläche, Windkraft wird ebenso kritisiert: Wie soll denn unsere Stromversorgung CO2-frei werden?
Wir sollten da einmal die Nutzungen des Stroms kritisch anDie Sanierungsrate bei unseren Gebäuden liegt – wo, bei einem Prozent? Das heißt, wir brauchen hundert Jahre, bis unsere energiefressenden, alten Schuppen einen halbwegs guten Standard haben. Hundert Jahre! Gleichzeitig haben wir einen massiven Trend zu Wärmepumpen, auch zu solchen mit geringem Wirkungsgrad, etwa Luftwärmepumpen in energetisch miserablen Gebäuden. Da wird jede Menge Strom hineinverschwendet. Im Vordergrund muss der wirklich gezielte Einsatz von Strom stehen. Da vermisse ich die guten Konzepte.
Ihr Vorgänger Johannes Gepp ist stets als wortgewaltige Stimme, doch nicht unbedingt als Aktivist wahrzunehmen. Wie hält es Romana Ull mit Aktivismus?
Eine gute Frage. Von meinem Typ her sehe ich mich als Aktivistin, eindeutig. Auch deshalb,
weil wir so viele Jahrzehnte lang auf fachlicher Ebene argumentiert haben und so vieles nicht gehört wurde. Dafür bekommen wir jetzt laufend die Rechnungen. Wenn Sie heute mit dem Auto fahren, brauchen Sie die Scheibe kaum noch von Insekten zu reinigen. Das war in Ihrer Kindheit anders. Wir haben davor gewarnt, was passiert, wenn man in der Landwirtschaft Insektizide verwendet, die bei Insekten als Antibiotika wirken und ihr Immunsystem schwächen. Wir haben Studien erstellt, Gespräche mit Politikern geführt, es hat nichts geholfen. Für mich ist die Zeit jetzt vorbei, nur die rein fachliche Komponente zu vertreten.
Manche kleben sich aus Protest auf Straßen. Unterstützen Sie das?
Zu hundert Prozent. Ich bin aus einer Wissenschaftsriege, die lange versucht hat, Politik und
Wirtschaft zu motivieren, vorsichtiger zu sein. Es ist uns nicht gelungen, die Aufmerksamkeit aufs Thema zu lenken, mit unseren Berichten, Veranstaltungen, unserem Lieb-Sein. Jetzt ist es Zeit aufzuzeigen, dass sich etwas ändern muss.
Als Gelegenheit dafür böten sich auch reguläre Wahlen. Dort aber unterstützt die Mehrheit bislang nicht jene Kräfte, die das so sehen wie Sie. Wie demokratisch ist es, Ihre Sicht über den Druck der Straße durchsetzen zu wollen?
Die Frage kann ich nicht beantworten. Meiner Ansicht nach ist Demokratie die beste Regierungsform, kein Zweifel. Aber Demokratie muss mit guter Information einhergehen. Und in Sachen Natur und Naturvernichtung ist die Informationslage in Österreich keine gute. Wenn dieses Wissen bei den Menschen verbessert wird, wird auch die Meinung eine andere sein.
Welches Wissen meinen Sie?
Zum Beispiel, wenn es um Wölfe geht. Wenn irgendwo ein Wolf ein Nutztier gerissen hat, wird groß berichtet. Es ist aber nie zu lesen, wie viele Tiere etwa im Straßenverkehr umgekommen sind. Es bleibt die Botschaft: Der Wolf bedroht unsere Gesellschaft. Meiner Ansicht nach müsste zu jedem der Berichte über einen Wolfsriss ein kurzer Bericht dabei sein, wie etwa Slowenien mit Hunderten Wölfen und 800 Bären umgeht. Das ist ein Land so groß wie die Steiermark. Und wir sollen damit nicht umgehen können? Stattdessen wird in der Bevölkerung die Emotion geschürt.
Wenn Sie als Naturschutz-Präsidentin einen Wunsch frei hätten ...
... dann würde ich mir wünschen, dass echter Naturschutz von selbst passiert und dass es uns irgendwann nicht mehr braucht. Dann soll der Naturschutzbund, weil nicht mehr benötigt, aufgelöst werden.