Kleine Zeitung Steiermark

INTERVIEW.

Michel Houellebec­q ist das Enfant terrible der europäisch­en Literatur. Zuletzt ließ der Franzose sogar einen Pornofilm von sich drehen. Im Interview spricht er über seine Ängste, relativier­t seine Islamkriti­k – und rühmt Orbáns Einwanderu­ngspolitik.

- Von Martina Meister

Michel Houellebec­q sitzt im Bistro „Le Coche“im Pariser Chinatown, bestellt frittierte Calamari und ein Bier. Obwohl er die letzten Monate durch die Hölle gegangen ist, sieht er aufgeräumt aus. Lange hatte der 67-Jährige keine Interviews gegeben, nun aber will er wegen eines Rechtsstre­its in die Offensive gehen. Der holländisc­he Videokünst­ler Stefan Ruitenbeek hatte ihm das Projekt eines Pornofilms vorgeschla­gen und 2022 Houellebec­q, dessen Frau und eine Studentin beim Sex gefilmt. Houellebec­q erwirkte vor Gericht, Einwände gegen die Veröffentl­ichung einzelner Szenen erheben zu dürfen. In Frankreich ist nun ein kurzes Buch mit dem Titel „Quelques mois dans ma vie“erschienen, auf Deutsch „Einige Monate in meinem Leben“. Es ist eine Abrechnung.

Houellebec­q spricht leise, langsam und unartikuli­ert. Während des fast dreistündi­gen Gesprächs raucht er nur eine einzige Zigarette. Er hält sie nach wie vor zwischen Mittelund Ringfinger, die aber nicht mehr wie früher gelb sind vom Nikotin. Ein junger Mann bittet ihn um ein Selfie, eine ältere Dame will ein Autogramm: „Für Christelle“, soll er schreiben. Houellebec­q spielt beide Male mit.

Sie waren zutiefst deprimiert. Geht es Ihnen inzwischen besser?

Es geht mir tatsächlic­h besser, weil ich meinen Prozess in Holland so gut wie gewonnen habe.

War es befreiend für Sie, ein Buch darüber zu schreiben?

Mir lag daran, dass die Leute meine Version der Dinge kenmanuel nen. Jetzt existiert sie. Schwarz auf weiß.

Wie La Fontaine in seinen Fabeln haben Sie den Protagonis­ten dieser Affäre Tiernamen gegeben: die Kakerlake, die Sau, die Pute, die Schlange. Was sagt diese Fabel über unsere Gegenwart?

Sie ist Gleichnis dafür, dass es möglich geworden ist, zu reüssieren, indem man jemanden zerstört.

Man fragt sich, wie ein erwachsene­r, intelligen­ter Mann wie Sie sich so täuschen kann. Sind Sie mit sich ins Gericht gegangen?

Es kommt nicht so oft vor, dass einem das Angebot gemacht wird, einen Pornofilm zu drehen. Außerdem ist es mir nie gelungen, einen Amateurpor­no zu drehen. Das ist in der Praxis sehr komplizier­t. Amsterdam ist im Übrigen ein ausgesproc­hen angenehmes Reiseziel.

Bei der Lektüre Ihres letzten Romans, „Vernichten“(2022), hatte ich das Gefühl, dass Sie ein glücklich verheirate­ter Mann sind und sich dieses für Sie ungewöhnli­che Liebesglüc­k im Buch widerspieg­elt, weil es weniger schonungsl­os, weniger grausam ist als die vorhergehe­nden. Hat das Glück Einfluss auf das Schreiben?

Sicher hat das etwas verändert, aber das ist für mich kein ausreichen­der Grund, um auf das Glück zu verzichten.

Gibt es etwas, wovor Sie sich gegenwärti­g ängstigen?

Immer noch vor dem Zungenkreb­s. Außerdem habe ich einen grünen Star. Schlimmste­nfalls macht der blind. Das ist also ziemlich ernst.

Denken Sie an Ihren Tod?

Nein, ich denke daran, was ihm wenn man beginnt, Krebs zu haben, wenn man sich fragt, ob man weitermach­en will oder nicht, ob es sich lohnt oder nicht.

Das ist überrasche­nd, dass Sie das sagen, wo Sie sich doch gegen aktive Sterbehilf­e ausspreche­n.

Man kann lebenserha­ltende Maßnahmen vermeiden und Leiden verhindern. Morphium funktionie­rt gut. Ich habe Morphium immer gemocht, Morphium ist meine Droge. Ich fühle mich gut, euphorisch. Ich verspreche mir große Glückselig­keit während meiner Agonie.

Sie haben Ihre Meinung über den Islam geändert. Können Sie erklären, warum?

Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass nicht der Islam das Problem ist, sondern die Kriminalit­ät.

War es die Lektüre des Koran, die Sie umgestimmt hat?

Weitgehend, aber nicht nur. EmCarrère hat mir ebenfalls die Augen geöffnet. Ich habe dank seines Buches „V13“verstanden, dass die Leute, die im Zeitraum eines einzigen Nachmittag­s von radikalen Islamisten rekrutiert werden, nicht gerade die frommsten sind. Es amüsiert sie, Menschen zu köpfen, mit den Köpfen Fußball zu spielen und Krieg mit Bazookas zu führen. Sie haben das Bedürfnis, die Gewalt noch mal um eine Stufe zu steigern. Der Islam dient ihnen nur als Vorwand. Jemand, der große Teile seines Tages damit zubringt, die Hadithe zu studieren, der handelt nicht gleichzeit­ig mit Drogen. Das sind nicht dieselben Lebensentw­ürfe. Schon Pascal hatte erkannt, dass die Religion ein guter Vorwand ist, um andere mit gutem Gewissen zu massakrier­en.

Die strengen Regeln in Sachen vorehelich­er Sex, die Sittenpoli­zei in den Banlieues, hat Sie das nicht auch gestört?

Nein. Das würde mich nur stövorausg­eht,

Nein, das habe ich nicht gesagt, ich vergleiche verschiede­ne schlechte Regime. Der Nationalso­zialismus ist außer Konkurrenz. Dann gab es asiatische Varianten des Kommunismu­s. Mao war schlimmer als Stalin – von Pol Pot ganz zu schweigen.

Oft wurde er für seine seherische Kraft gelobt. Zuletzt machte er von sich reden, weil er in einem Gespräch mit dem Philosophe­n Michel Onfray Attentate von Franzosen gegen Muslime voraussagt­e. Gleichzeit­ig sorgte er mit einem Porno für Schlagzeil­en.

In Ihrem Roman „Plattform“sagt der Erzähler von sich: „Nichts von mir wird überleben, und ich verdiene auch nicht, dass mich etwas überlebt; ich bin mein ganzes Leben lang in jeder Hinsicht ein mittelmäßi­ger Mensch gewesen.“Würden Sie das heute unterschre­iben? Denken Sie an das, was Sie hinterlass­en werden?

Der Erzähler ist doch eine Figur. Und diese war in der Tat ein mittelmäßi­ges Individuum. Bei mir ist das nicht so eindeutig. Ich behaupte nicht, dass ich nichts mit ihm gemein habe, aber er ist eine schlechter­e Ausführung von mir. Ich habe nichts dagegen, wenn man in ihm den allgemeine­n Vertreter der westlichen Welt sieht. Ich finde nicht, dass ich in jeder Hinsicht mittelmäßi­g war und mich nichts überleben wird. Es fällt mir aber etwas schwer, das auszusprec­hen, grundsätzl­ich fällt es mir schwer, prätentiös zu sein.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria