Biss zur Blutleere
Das Grauen lauert immer und überall. Trotz Bodyhorror und Blut bleibt „Nosferatu“unter der Regie von Adena Jacobs blass.
Sämiges Theaterblut fließt literweise aus den Eingeweiden an diesem Abend. Schon eingangs. Aus der überdimensionalen Projektion eines entzweigerissenen Gesichts eines Blondschopfs tropft aus der Mitte ein Blutstrahl und daraus drängt sich ein weiteres bleiches Gesicht mit rot unterlaufenen Augen und spitzen Beißerchen hervor; jenes von Bibiana Beglau.
„Ich erinnere alles“, sagt die Blutgräfin beängstigend ruhig. Der anfängliche Monolog bleibt einer der stärksten und eindrucksvollsten Momente dieser „Nosferatu“-Inszenierung am Wiener Burgtheater.
das Monströse im Menschen sowie der Missbrauch sind in der Interpretation des Grauens der australischen Regisseurin Adena Jacobs nach einem Text der österreichischen Dramatikerin Gerhild Steinbuch allgegenwärtig. Ein Theaterabend als atemlose, bildgewaltige und ermüdende Blutorgie, die nur mehr Spuren von Bram Stokers genreweisendem Romanklassiker „Dracula“enthält.
Der Ausgangspunkt von Steinbuchs eindringlich-präzisem Text ist die These, dass Erinnerungen und Gewalterfahrungen in den Körpern und Landschaften archiviert und stetig weitergereicht werden. Sich dem entziehen? Aussichtslos!
Technisch läuft die gnadenlose Erzählung vom Nichtentkommenkönnen auf Hochtouren: Eine Scheune mit hell erleuchteten Fenstern ist zugleich ein Schloss, eine Anstalt, ein Kinderheim oder ein Traumhaus. Reale Orte des Grauens der österreichischen Nazi-Geschichte, wie sie von Rechnitz, Wilhelminenberg und Spiegelgrund belegt sind, können mitgedacht werden. Dieser spukhafte Ort wird mit ausgefeilten Videoprojektionen, Body-Horror-Szenen mit geöffneten Bauchdecken oder wunderschönen Wimmelbildern von nackten, ineinander verwobenen Körpern wie bei einem Gemälde von Hieronymus Bosch bespielt.
Über allem schweben nackte Tänzerinnen und Tänzer an Seilen und dräuenden Klängen. Die
Bildermagierin Adena Jacobs arbeitete wie schon 2022 bei „Die Troerinnen“am Wiener Akademietheater mit einem Regieteam rund um Eugyeene Teh, Tobias Jonas, Max Lyandvert und Melanie Lane (Choreografie) zusammen.
Als Erzählung und Entlarvung des menschengemachten Grauens, das sich in die Gegenwart fortsetzt, bleibt dieser Abend mit losen Handlungsfäden erstaunlich blass und blutleer. Als bildgewaltige Überwältigungsmaschine mit einem Dauerbeschuss an blutigen Effekten funktioniert der Albtraum-Ritt durchaus, wenn man sich darauf einlassen will.
Das Ensemble, das keine Rollenzuschreibungen erhält, glänzt in den wenigen Momenten, in denen die Inszenierung der Sprache und der Sprachgewalt der Schauspielstars Bibiana Beglau, Sylvie Rohrer, Sabine Haupt, Safira Robens oder Lilith Häßle genügend Raum gibt. Markus Meyer treibt als Untotester sein animalisches Unwesen.
Braver Beifall nach zwei düsteren Stunden im Halbdunkeln.