Einsam gegen den Trend
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz müht sich gegen den Sinkflug. Entlastung kommt weniger aus der eigenen Regierung als durch die Demos der Zivilgesellschaft.
Das kommt nicht oft vor. Neulich wurde sich bei Olaf Scholz bedankt. Auf offener Bühne erfuhr der Kanzler Zuspruch, wenn auch mit drastischen Worten. Die Autorin Juli Zeh dankte Scholz zu Wochenbeginn in einer Podiumsrunde dafür, „dass es Leute gibt, die diesen beschissenen Job überhaupt machen“. Scholz lachte. Öffentlich. Das ist selten.
Autorin und Kanzler verbindet viel. Juli Zeh, 49, erfuhr für ihren Roman „Unter Leuten“einige Kritik. Dieser sei zu verständnisvoll gegenüber Coronaskeptikern. Auch Scholz, 65, erntet Unmut. „Sie kriegen das nicht in den Griff“, so CDU-Chef Friedrich Merz diese Woche im Bundestag. Die neu-konservative Sahra Wagenknecht spricht auf dem ersten Parteitag ihrer Bewegung BSW von der „dümmsten Regierung Europas“. Das sind heftige Worte.
Die Umfragen sind mies. „Nur 34 Prozent der Bevölkerung haben das Gefühl, dass die Ampel Orientierung und Richtung weist“, so Stephan Grünewald, Leiter des Rheingold-Instituts, das in der Studie „Wie wir wirklich leben wollen“die Stimmungslage im Land erfasste. Der Kanzler erzielt im ZDF-Politbarometer einen Beliebtheitswert von minus 1,2. Nur Alice Weidel von der AfD ist noch schlechter. Lief schon besser für Scholz. Und seine Partei, die SPD.
„Kita-Sprech“hält ihm Zeh mit Blick auf den Doppelwumms vor, das Finanzpaket zur Stabilisierung der Energiepreise. „Ich glaube nicht, dass ich Deutschland einen Gefallen getan hätte, wenn ich gesagt hätte: Hier haben wir ein Programm zum Umgang mit den aktuellen Problematiken“, entgegnet Scholz. Spitzbübisch, schlagfertig. So ist er. Mehr aber noch: auf seine Art unbeirrbar.
Dahinter steckt mehr als das unbändige Selbstbewusstsein von Politikern. Scholz kalkuliert so: Im Sommer vor der Bundestagswahl 2021 hielt es niemand für möglich, dass die taumelnde SPD mit ihrem sperrigen Kandidaten das Votum gewinnt. Es kam anders. Für Scholz der Beweis: Er lag richtig. Mal wieder.
Doch ist es dieses Mal anders. Nicht nur, weil Ex-Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem Rückzug 2021 eine einmalige Konstellation bescherte. Bauern machen gegen Kürzungen beim Agrardiesel mobil, Lokführer und Flughafenpersonal streiken, die deutsche Autoindustrie hadert mit dem Übergang ins E-Zeitalter und selbst deutsche Weltmarktführer wie SAP kündigen die Entlassung von Tausenden an. Scholz’ „Zeitenwende“scheint das Land zu überfordern. „Die Menschen haben das Gefühl, in einem Krisenalter festzustecken“, so Forscher Grünewald im Deutschlandfunk. Coro
na ist zwar vorüber, aber die Krisen, die bleiben.
Besonders in Deutschland. Erstmals seit der Ära Merkel erlebt das Land eine Zeit knapper Kassen und damit auch heftiger Verteilungskämpfe. Das Geld fehlt, um Konflikte zu kitten. Auch deshalb eskaliert der Streit – von den Bauern bis zur Bahn. Zudem klemmt es in der Ampelkoalition. Im Bemühen, das Kernklientel zu besänftigen, lässt Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner auch Nebenkonflikte eskalieren. Im jüngsten Streit ums Kindergeld geht es um neun Euro pro Kind und Monat. Die Liberalen sind im Dauerwiderstand gegen die eigene Regierung. Beim letzten Mal endete diese liberale Guerillataktik 2013 mit dem Abschied aus dem Bundestag. Auch bei den Grünen rumort es. Von den jüngsten Kürzungen beim Agrardiesel wusste nicht einmal der Grünen-Agrarminister Cem Özdemir. So bleibt der Eindruck einer steten Krisenpolitik aus der Hüfte. Vom Heizungsgesetz bis zu den jüngsten Sparbeschlüssen. Fatal.
Spekulationen über Neuwahlen halten sich hartnäckig. Doch würden sie niemandem in der Regierung nutzen. Am wenigsten dem Kanzler. „Leider ist es zu selten gelungen, wichtige Beschlüsse ohne öffentliche Auseinandersetzungen zu treffen“, so Scholz im jüngsten „Zeit“-Interview. Sehr Scholz-like oder wenig „Kita-Sprech“, wie Zeh sagen würde. Doch überraschend selbstkritisch. Und so ergänzt Scholz: „Als Kanzler trage ich die Verantwortung für die Regierung. Punkt.“Das ist allerdings neu.
So wie die Demos im Land. Zehntausende gehen auch an diesem Wochenende in Deutschland auf die Straßen. Die jüngsten Kundgebungen gegen rechtsextreme Verschwörungen ändern das Klima. Nicht unbedingt für Scholz. Aber die Zivilgesellschaft überwindet eine fatalistische Phase der Gleichgültigkeit. Von „Selbstwirksamkeit“spricht Meinungsforscher Stephan Grünewald. Die Stimmung verschiebt sich im Land. In aktuellen Umfragen rutscht die AfD erstmals seit Monaten unter zwanzig Prozent.
Der SPD bietet sich unverhofft die Chance, sich mit Kante nach rechts neu zu profilieren. Die Partei wird das schwerlich retten. Scholz auch nicht.
Aber der Mann im Kanzleramt ist widerstandsfähiger als viele glauben. Mehrmals kam er zurück. Nach seinem Aus als SPD-Generalsekretär der Ära Gerhard Schröder als Arbeitsminister in der Regierung Merkel I. Nach dem Weggang nach Hamburg als Finanzminister in der Regierung Merkel IV. Nach dem Scheitern im Bemühen um den SPD-Vorsitz als Kanzlerkandidat seiner Partei. Scholz stemmt sich gegen den Trend. Einsam wie immer.