„Habe mich mit meiner Heimat versöhnt“
2014 gewann Tom Neuwirth (alias Conchita Wurst) den Song Contest: Was blieb? Was kommt? Wie wird gefeiert? Ein Gespräch zum runden Jubiläum.
Vor knapp zehn Jahren gewannen Sie als Conchita Wurst den Eurovision Song Contest in Kopenhagen. Wie feiern Sie dieses runde Jubiläum?
Ich feiere am 6. Mai in Schweden das Jubiläum. Der Sieg beim Song Contest war sehr besonders. Ich wurde über Nacht zu einer Ikone der queeren Community.
Welche Herausforderungen haben Sie auf Ihrem Weg zur Kunstfigur Conchita Wurst überwunden? Wie sehen Sie sich als Drag Artist?
Drag ist ein weiter Begriff. Ich mache mir ein schönes Gesicht, setze mir schöne Haare auf, ziehe mir einen Fetzen an und gehe. Schon als Kind habe ich gedacht: Warum soll ich nicht das Sommerkleid meiner Cousine anziehen und damit ins Schwimmbad gehen? Diese weiblich besetzten Kleidungsstücke haben in mir etwas entfesselt, was mich größer werden ließ, als ich war. Später lebte ich in Conchita meine Diva aus. Wir müssen respektvoll miteinander umgehen. Dann kannst du machen, was du willst.
Sie wechselten in das Schauspielfach, gaben Ihr Debüt im Wiener Rabenhof Theater. Sie spielen „Luziwuzi“. Warum das? Ich war fasziniert. Vor zwei Jahren bot mir Regisseurin Ruth Brauer-Kvam die Rolle an. Ich habe mich in die Figur verliebt. Auch aufgrund der Themen Freiheit, Individualität und Selbstliebe wollte ich sie spielen.
Worum geht es in dem Stück? Die Rolle des Erzherzogs Ludwig Viktor. Er stammt aus der
Queer-Community des 19. Jahrhunderts. Damals war Homosexualität strafbar. Er kam aus einer privilegierten Familie. Er hätte aber mit den Konsequenzen leben müssen, falls sein Lebensstil bekannt geworden wäre. Eine Doppelmoral, die auch heute präsent ist.
Was möchten Sie noch spielen? Die Buhlschaft in „Jedermann“. Ich finde das Thema ansprechend, die Figur würde gut zu mir passen. Ich möchte meine Fähigkeiten erweitern.
Was halten Sie von Musicals? Ich liebe Musicals, aber das ständige Wiederholen finde ich ermüdend. Ich schätze die Komplexität und Interpretationsfreiheit im Theater, während Musicals oft eine konstante emotionale Leistung erfordern.
Sie haben die Modeschule absolviert. Was nahmen Sie mit ins Leben?
Das Zwischenmenschliche war sehr wichtig: voneinander zu lernen, Ideen auszutauschen, sich hochzupushen. Das ließ die Kreativität wachsen. Disziplin war wichtig. Ich habe voll viel fürs Leben gelernt.
Es wird gerade wieder über Schuluniformen diskutiert. Wie stehen Sie dazu?
Bei Schuluniformen verstehe ich den romantischen Zugang, dass alle super aussehen, wenn die Fetzen gut aussehen. Aber das nimmt etwas Individualismus weg. Woher kommt das?
Damit es kein Mobbing wegen eines anderen Stils gibt?
Ich sehe den Mehrwert. Aber das ist keine Lösung, sondern eine Symptombehandlung. Wenn wir lernen, uns zu respektieren und unsere Individualität zu feiern, müssten wir nicht einen Teil von uns verstecken. Uniformen können vielleicht die Situation lösen, aber sie stellen uns in eine Ecke, die uns sagt: ‚Es gibt keinen Platz für deine Fantasien.‘ Kleidervorschriften sind der falsche Ansatz.
Sie treten am 19. Juli in Ihrem Heimatort Bad Mitterndorf auf. Ziehen Sie wieder einmal zurück? Vor zehn Jahren hätte ich gesagt: ‚Never gonna happen. Wie langweilig.‘ Aber letztes Jahr habe ich mich ein bisschen mit meiner Heimat versöhnt. Ich habe die Schönheit der Region, des Handwerks und des Brauchtums mit anderen Augen gesehen. Ich könnte dort Zeit verbringen. Aber für eine Dauerresidenz bin ich noch nicht bereit. Ich brauche eine U-Bahn alle drei Minuten und nicht einen Bus einmal am Tag.