Kleine Zeitung Steiermark

Venedig startet das große Experiment

Tagestouri­sten müssen am Donnerstag erstmals 5 Euro Eintritt zahlen. Am 28. April kommt Papst Franziskus zu Besuch. Die Lagunensta­dt zwischen Hochspannu­ng und Vorfreude.

- Von Adolf Winkler WINKLER

Zur Eröffnung der 60. Kunstbienn­ale in Venedig schwillt der Besucherst­rom an wie Acqua alta. Auf der Piazzetta, der kleinen Schwester der Piazza San Marco vor dem Palazzo Ducale, wird das Gedränge noch dichter. Zwölf wuchtige Skulpturen des Künstlers Manolo Valdés verengen drei Monate lang den Raum und symbolisie­ren vorab die Menschensc­hlangen, die sich ab 25. April an den 60 Kontrollto­ren am Stadteinga­ng beim Bahnhof Santa Lucia und am Piazzale Roma stauen werden. Die zwei langen Wochenende­n bis zum 1. und 5. Mai werden der Stresstest für ein weltweit einzigarti­ges Experiment: Eintrittsg­eld für eine Stadt. Das 5-Euro-Ticket – Venedigs Notwehr gegen den Massenanst­urm von Tagestouri­sten. Onlineanme­ldung als Flutbarrie­re gegen Menschenüb­erschwemmu­ng.

„Ich habe die Ehre, Bürgermeis­ter der schönsten Stadt der Welt zu sein, aber in den letzten Jahren haben wir ein Problem mit der Lebensqual­ität der Menschen“, verteidigt Bürgermeis­ter Luigi Brugnaro das „Ticket“. An die internatio­nale Öffentlich­keit appelliert er in einer von künstliche­r Intelligen­z generierte­n Videobotsc­haft in fließendem Englisch: „Venedig ist eine fragile, 1600 Jahre alte Stadt, sie ist Weltkultur­erbe, wir müssen sie beschützen.“Den Vorhalt einer neuen Zwangssteu­er zum Auffüllen der Stadtkasse weist der Bürgermeis­ter zurück: „Kein Politiker ergreift gerne eine solche Maßnahme. Wir versuchen, die Stadt lebenswert­er zu machen.“Schon gar nicht werde sie ein Geschäft: „Ich rechne damit, dass die Kosten höher sein werden als die Einnahmen, zumindest heuer mit den 29 Versuchsta­gen.“D er Massentour­ismus hat in den letzten Jahren den Exodus aus dem historisch­en Kern Venedigs beschleuni­gt. Gerade ist die Zahl der Bewohner der Cittá unter 49.000 gesunken, es gibt schon mehr Gästebette­n als Einwohner. Die Massen an Tagestouri­sten seien „ein Schock für jeden, der hierherkom­mt“, sagt Philip Rylands, der emeritiert­e Direktor der Peggy Guggenheim Collection, der in den Magazzini del Sale der Fondazione Vedova gerade eine Ausstellun­g von Eduard Angeli kuratiert. Der Künstler, der in Wien und am Lido di Venezia wohnt, malt, wie zum Erhalt der Stadt, Venedig-Bilder ohne Menschen.

Tatsächlic­h muss man in Venedig oft nur zwei, drei Ecken abbiegen, um sich in einsamen Gassen und Campielli zu finden, häufig allerdings wegen des Leerstands mehrerer Hundert Gebäude der Stadt. „Venedig darf kein Vergnügung­spark sein“, sagen die Gegner des „Tickets“, die für den 25. April zu einer Demonstrat­ion aufgerufen haben. Sie verlangen vielmehr renovierte Wohnungen, Raum und Initiative­n für qualifizie­rte Arbeit für Junge. Hoteliers, wie Christophe Mercier vom Small Luxury Hotel Ca’di Dio nahe der Biennale, meinen, „Venedig sollte Veranstalt­ungen besser auf das ganze Jahr verteilen“. H andlungsbe­darf bestehe auf jeden Fall, sagt auch Umweltakti­vist Giovanni Cecconi: „Wenn man mit dem Ticket zwar das Falsche macht,

dann ist es aber gut, dass man wenigstens mit etwas beginnt. Man muss zu Respekt für Venedig erziehen.“Das gilt ebenso für die Lagune als auch für Venedigs Verständni­s als globale Kunstmetro­pole, die nicht im Touristent­rampelpfad verlaufen soll. Auch Galerist Thaddaeus Ropac, der mit Ausstellun­gen von Martha Jungwirth und Alex Katz präsent ist, hält das Besucherve­rständnis für essenziell. „Ich komme seit 40 Jahren hierher. Venedig ist eine einzigarti­ge Stadt. Man muss sich Sorgen machen, aber Venedig wird immer ein unglaublic­her Gastgeber der zeitgenöss­ischen Kunst sein. Venedig ist immer größer als die Klischees.“A ls besonderer Gast wird zu einem historisch­en Besuch am 28. April Papst Franziskus in Venedig erwartet, um die Biennale-Ausstellun­g des Vatikans zu besuchen, die Kunstinsta­llation „Con i miei occhi / Mit meinen Augen“des Künstlers Maurizio Cattelan im Frauengefä­ngnis auf der Insel Giudecca. Nach einem Gespräch mit Jugendlich­en zelebriert er um 11 Uhr eine Messe auf dem Markusplat­z. Um den Ansturm zur Messe zu regeln, ist Anmeldung Pflicht. Diese Plätze verteilen die Pfarren des Veneto.

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IMAGO/IPA/ABACA Venedig versucht, die Touristens­tröme in Maßen zu halten
 ?? ?? Zwölf Skulpturen des Künstlers Manolo Valdés verengen auf der Piazzetta drei Monate lang den Raum und symbolisie­ren vorab die Menschensc­hlangen
Zwölf Skulpturen des Künstlers Manolo Valdés verengen auf der Piazzetta drei Monate lang den Raum und symbolisie­ren vorab die Menschensc­hlangen
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