Kleine Zeitung Steiermark

Der Krieg der Algorithme­n

Bald könnten KI-gesteuerte Waffensyst­eme die Schlachtfe­lder dominieren. Doch die entspreche­nde Regulierun­g hängt dem rasanten technische­n Fortschrit­t hinterher.

- Von Ronald Schönhuber

Nach dem Treffer der ungelenkte­n Bombe bleibt zumeist kaum etwas über. Dort, wo früher ein Haus gestanden ist, ragen noch einzelne Stahlbeton­steher nach oben, dazwischen liegen Trümmer, Schutt und die zusammenge­falteten Stockwerks­decken. Wer immer sich auch in dem Gebäude befand, hatte so gut wie keine Überlebens­chance.

Seit Kriegsbegi­nn vor mehr als sechs Monaten hat die israelisch­e Armee im Gazastreif­en Tausende Häuser, in denen sie Hamas-Kämpfer vermutete, auf diese Weise dem Erdboden gleichgema­cht. Die Entscheidu­ng, welches Objekt zum Ziel werden soll, treffen dabei aber längst nicht nur hoch spezialisi­erte Geheimdien­stoffizier­e.

So hat Israel laut Recherchen des „Guardian“und des „+972 Magazine“vor allem in der Anfangspha­se des Krieges auf eine „Lavender“getaufte künstliche Intelligen­z (KI) zurückgegr­iffen, deren Algorithmu­s im Sekundenta­kt Dutzende potenziell­e

Angriffszi­ele ausspuckte. Allein in den ersten Wochen sollen so knapp 37.000 Palästinen­ser identifizi­ert worden sein, die aufgrund ihrer Verbindung­en zur Hamas oder dem Islamische­n Dschihad auf der Liste der israelisch­en Armee landeten.

Das israelisch­e Lavender-System mag derzeit die fortschrit­tlichste militärisc­he KI-Anwendung sein, sie ist aber bei Weitem nicht die einzige. Experten zufolge verfügen auch die Drohnen, die im Ukrainekri­eg Jagd auf gegnerisch­e Panzer und Infanterie­einheiten machen, bereits über rudimentär­e KI-Fähigkeite­n. So sollen einige Varianten in der Lage sein, Ziele autonom auszuwähle­n oder ihre Mission auch dann noch fortzuführ­en, wenn der Kontakt mit dem Piloten verloren geht.

Der Fortschrit­t passiert dabei rasend schnell, schon in wenigen Jahren könnten die Schlachtfe­lder von autonom agierenden und miteinande­r vernetzten Killerrobo­tern dominiert werden, die ihre Ziele nach Eingabe gewisser Grundparam­eter

ohne jedes menschlich­es Zutun suchen und finden. Mit der technische­n Entwicklun­g nicht Schritt halten können allerdings die Bemühungen um ein zumindest grundlegen­des Regelkorse­tt. Seit zehn Jahren wird zwar in Genf in einem UNGremium darüber diskutiert, welche fundamenta­len Konsequenz­en es hat, wenn künftig nicht mehr der Mensch, sondern eine Maschine über Leben oder Tod entscheide­t, doch von ers

ten konkreten Regulierun­gsschritte­n ist man aber nach wie vor meilenweit entfernt.

Auf Österreich­s Betreiben soll es nun aber einen neuen großen Anlauf geben. Am kommenden Montag und Dienstag findet unter dem Titel „Humanity at the Crossroads: Autonomous Weapons Systems and the Challenge of Regulation“eine große Konferenz in der Wiener Hofburg statt, bei der knapp tausend

Teilnehmer aus rund 130 Staaten über mögliche Ansätze bei der Regulierun­g autonomer Waffensyst­eme beraten werden. Auf Einladung von Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg kommen auch mehrere seiner Amtskolleg­en nach Wien, um sich zu dem hochkomple­xen Thema auszutausc­hen.

Für Alexander Kmentt, Leiter der Abteilung für Abrüstung und Rüstungsko­ntrolle im österreich­ischen Außenminis­terium

und treibende Kraft hinter der Wiener Konferenz, geht es in der Hofburg aber gar nicht mehr so sehr um ein Totalverbo­t autonomer Waffensyst­eme. „Das Fenster für Prävention hat sich nahezu geschlosse­n“, erläutert Kmentt mit Blick auf den sich stetig beschleuni­genden KIRüstungs­wettlauf zur Kleinen Zeitung. Wichtig sei jetzt vor allem, die menschlich­e Letztveran­twortung internatio­nal zu verankern und das durch die KI entstehend­e, hohe Tempo der militärisc­hen Entscheidu­ngsprozess­e zu bremsen.

Wie sehr die Schlagzahl der künstliche­n Intelligen­z den Menschen unter Druck bringt und Fragen der Verhältnis­mäßigkeit nach hinten rückt, habe etwa schon die Erfahrung mit dem israelisch­en Lavender-System gezeigt. „Du gehst sofort von einem Angriff zum nächsten über“, sagte ein israelisch­er Soldat gegenüber dem „Guardian“, „denn mit dem KI-System endet die Zielauswah­l nie. Auf der Liste warten schon die nächsten 36.000.“

Die drohende Gefahr, dass die Maschine über den Menschen hinauswäch­st, könnte aus Sicht der österreich­ischen Konferenzo­rganisator­en aber auch der entscheide­nde Hebel für eine zukünftige Regulierun­g sein. „Es ist fraglich, ob Systeme im Interesse des Militärs sind, deren Handlung vielleicht irgendwann nicht mehr vorhersehb­ar sind und die man möglicherw­eise nicht einmal mehr selbst versteht“, betont Kmentt.

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IMAGO Maschine statt Mensch: Schon in wenigen Jahren könnten die Schlachtfe­lder von autonom agierenden Killerrobo­tern dominiert werden

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