Dunkle Wolken über dem Wettsingen
Kroatien könnte seinen ersten Sieg in der ESC-Geschichte einfahren. Erwartet wird beim Song Contest ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Es wäre der erste Sieg Kroatiens, auch wenn der Eurovision Song Contest schon einmal in Zagreb ausgetragen wurde – 1990, nach dem Triumph der jugoslawischen Vertreter Riva mit dem HappySong „Rock Me“. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 37 Prozent wird nämlich Kroatiens Künstler Baby Lasagna als Gewinner des 68. ESC in den Wettbüros gehandelt.
Auf den rockigen Favoriten folgt mit einer Wahrscheinlichkeit von 26 Prozent die Israelin Eden Golan auf Platz zwei. Da hat sich seit den Halbfinali bei den Buchmachern etwas gedreht. Denn Nemo aus der Schweiz belegt mittlerweile nur noch Rang drei (mit einer Wahrscheinlichkeit von elf Prozent). Österreichs Kaleen wird bei den Wetteinsätzen ein 15. Platz zugetraut, das wäre das gleiche Ergebnis für unser Land wie im Vorjahr mit Teya & Salena.
Wobei die letzte Startnummer im Finale für sie von Vorteil für das Televoting ist. Die 29-jährige Oberösterreicherin Marie-Sophie Kreissl hat im Semifinale einen souveränen Auftritt hingelegt, der einen zwar kaltlässt, durch Überwurf- und Hebefiguren in der Choreografie jedoch auffiel. Über der Tänzerin schwebt bei der sterilen Eurodance-Nummer „We Will Rave“eine Pyramide mit nach unten gerichteter Spitze. Sie soll die weibliche Energie und Stärke symbolisieren. Von den Fachjuroren darf man wohl deutlich weniger Punkte als beim Televoting erwarten.
Ein Grand Prix Eurovision de la Chanson ist der Song Contest freilich schon länger nicht mehr. Immer wieder wird die größte Musikshow der Welt für politische Gesten missbraucht. So hielt schon 2019 die isländische Band Hatari beim ESC im Mai in Tel Aviv bei der Punktevergabe palästinensische Flaggen in die Kamera. Man verstieß damit zwar gegen das Verbot zur Politisierung des Wettsingens (dem isländischen Rundfunk wurde von der Europäischen Rundfunkunion auch eine Geldstrafe aufgebrummt), doch was einmal über den Bildschirm kommt, kann nicht ungeschehen gemacht werden.
Dass Künstler mit Buhrufen und Pfiffen empfangen werden, erlebten wir etwa bei den russischen Zwillingen Tolmachevy Sisters 2014 in Kopenhagen und bei der großartigen Sängerin Polina Gagarina aus Moskau 2015 in Wien. ESC-Slogans wie „Brücken bauen“(damals in Wien) und „Vereint durch Musik“(seit 2023 der eingeführte Slogan) verkommen dadurch zur bloßen Behauptung.
Sollte es in der Malmö-Arena zu Buhs oder Zwischenrufen beim israelischen Beitrag „Hurricane“kommen, wird von der Fernsehtechnik laut ORF-Kommentator Andi Knoll Zwischenapplaus eingespielt.
Auffällig ist am heurigen ESCJahrgang, dass immer mehr Länder zur Landessprache zurückgekehrt sind. 1999 wurde im Reglement der Sprachzwang aufgehoben und in Folge durch die freie Sprachwahl ein englischer Text zum Wettbewerbsstandard. In Malmö singen etwa Slowenien, die Ukraine, Litauen, Estland, Norwegen, Armenien, Serbien, Spanien und Portugal in der Landessprache. Ein schöner Trend. Die Franzosen sind da ohnehin Vorreiter gewesen – und ihr nur so von Kraft strotzender Interpret Slimane könnte mit „Mon Amour“heute durchaus einen Überraschungssieg einfahren. Er agiert ganz alleine auf der Bühne und sprengt mit seiner Energie fast das Bild.
Einen Eklat könnte es noch durch den niederländischen Vertreter Joost Klein („Europapa“) geben. Sein Fernbleiben bei der gestrigen Generalprobe begründete die Europäische Rundfunkunion nur vage: „Wir untersuchen derzeit einen uns gemeldeten Vorfall mit dem niederländischen Künstler. Er wird bis auf Weiteres nicht proben.“Vermutet wird ein Zusammenhang mit dem Antreten Israels. Eine Disqualifikation der Niederlande im Endspurt ist möglich.