Kleine Zeitung Steiermark

„Bürokratie ist eine Komödie“

„Irdische Verse“ist ein Film, der die Absurdität­en des iranischen Alltags aufdeckt und dabei subtil zwischen Humor und Kritik jongliert.

- Von Miriam Al Kafur

Ein frischgeba­ckener Vater möchte die Geburtsurk­unde seines Sohnes abholen, eine Frau sitzt bei einem Vorstellun­gsgespräch, eine Dame ist auf einer Polizeista­tion auf der Suche nach ihrem Hund Minou. Ein Regisseur sitzt bei der Kulturkomm­ission. Er möchte einen Film über sein Leben drehen, das Drehbuch kommt bereits ohne politische Inhalte und ohne Frauen aus. In einem Versuch, eine Drehgenehm­igung zu bekommen, lenkt er bei immer mehr Punkten ein, bis von seinem Drehbuch nur mehr wenige Seiten übrig bleiben.

„Ich wollte die Drehgenehm­igung für einen Film im Iran bekommen. Ich weiß noch, wie absurd die Situation war – gut die Hälfte dieses Ausschnitt­es ist von der wahren Begebenhei­t inspiriert, die andere haben wir improvisie­rt“, sagt der in Kanada lebende Alireza Khatami. Das Gespräch war so surreal, dass es zur Inspiratio­n für „Irdische Verse“, den jüngsten Film der iranischen Regisseure Alireza Khatami und Ali Asgari, wurde. „Es war ein höfliches Gespräch, aber gleichzeit­ig auch sehr absurd. Fast wie eine Komödie.“Gedreht wurde der Film im Iran in nur sieben Tagen – laut Khatami auch eine Budgetmaßn­ahme, kam das Geld dafür doch aus der eigenen Tasche: „Das war eine sehr befreiende Entscheidu­ng. Da die Finanzieru­ng von uns kam, mussten wir uns an keine Vorgaben von Dritten halten.“Probleme gab es im Nachhinein: Die Behörden waren unglücklic­h, dass der Film ohne Erlaubnis gedreht wurde, man versuchte die Teilnahme an internatio­nalen Filmfesten zu verhindern. Im Mai 2023 feierte er seine Weltpremie­re in Cannes.

Der Film wirft einen Blick auf den Alltag im Iran, wo die Bürokratie zur alles beherrsche­nden Instanz geworden ist. Der Episodenfi­lm zeichnet das Bild einer Gesellscha­ft, in der jeder Schritt von staatliche­r Willkür und Überwachun­g begleitet wird. Er erzählt die Geschichte­n von neun Menschen, die mit den absurden Vorschrift­en des Regimes konfrontie­rt sind: „In Gesprächen mit Freunden lernten wir, dass viele in vergleichb­ar irrwitzige­n Situatione­n gelandet waren, die man im Nachhinein oft nicht glauben konnte.“

In einer Serie von kleinen Szenen werden die unterschie­dlichsten Facetten des Alltagsleb­ens beleuchtet, vom Namensgebe­n für Neugeboren­e bis hin zu banalen

Alltagssit­uationen wie dem Autofahren oder der Arbeitssuc­he. Dabei wird deutlich, wie die Bürokratie in jeden Bereich des Lebens eindringt und die individuel­len Freiheiten der Bürger einschränk­t. Auffallend: Die Verhörten kontern auf Fragen mit Gegenfrage­n: „Das ist einfach die Art, wie jeder, der etwas bei einer Behörde erreichen will, redet. Diesen Situatione­n wohnt oft ein eigener Humor bei.“

In einer der Szenen will ein junger Mann seinen Führersche­in abholen. Im Zuge des Gespräches drangsalie­rt ihn der Beamte, sich zu entkleiden und entdeckt dabei Tätowierun­gen mit Versen des Dichters Rumi. „Auch das Gedicht ist ein Gespräch zwischen zwei Personen, einer ist verrückt, der andere betrunken. Es ist so berühmt, dass es viele Leute auswendig rezitieren können.“Im Iran sei die Poesie die höchste Form der Kunst.

Ein Gedicht war auch die Inspiratio­n für den Titel des Films. Namensgebe­nd war „Terrestria­l Verses“der Dichterin Forugh Farrokhzad. Khatami und Asgari verbrachte­n viel Zeit damit, gemeinsam Gedichte zu lesen und entdeckten dabei die Ghazal-Dichtung für sich. Die Debattente­chnik, die für diese typisch ist, findet sich im Film wieder.

„Irdische Verse“ist nicht nur eine Abrechnung mit der Bürokratie und Unterdrück­ung, sondern auch eine Hommage an den Widerstand und die Würde der Menschen, die sich trotz aller Widrigkeit­en nicht unterkrieg­en lassen: „Wir wollten aber auch nicht mit dem Finger auf den Iran zeigen und sagen ‚Schaut, wie miserabel der Iran ist‘“, so Khatami über die Botschaft – politisch, aber nicht aufdrängen­d.

Die Rezeption in Cannes ist Khatami als sehr positiv in Erinnerung geblieben: „Die Zuschauer haben geklatscht und auch gelacht.“Auch internatio­nal wird der Film gut aufgenomme­n: „Wir dachten, wir machen unseren kleinen Film, dass er so gut ankommt, macht uns sehr glücklich.“

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 ?? IMAGO ?? Die beiden Regisseure Alireza Khatami (links) und Ali Asgari bei der Weltpremie­re von „Irdische Verse“(siehe oben) in Cannes
IMAGO Die beiden Regisseure Alireza Khatami (links) und Ali Asgari bei der Weltpremie­re von „Irdische Verse“(siehe oben) in Cannes
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