Kleine Zeitung Steiermark

Soll sich Lena Schilling zurückzieh­en?

Seit Wochen überschatt­et die Causa Schilling die Innenpolit­ik. Die EU-Kandidatin der Grünen kann nicht mehr abberufen werden, sondern sich nur freiwillig zurückzieh­en.

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Die wichtigste Währung in der Politik ist Glaubwürdi­gkeit und Vertrauen. Beides ist bei Lena Schilling und der grünen Führung nachhaltig zerstört. Ein handfester Skandal überrollt die Grünen, der nicht von einem politische­n oder medialen Außenfeind inszeniert wurde und den man für eine Jetzt-erst-recht-Strategie verklären könnte.

Nein, der Skandal um Schilling und ihren massiven Problemen mit der Wahrheit ist hausgemach­t. Es handelt sich um den Endkampf im zerstritte­nen links-grünen Spektrum, ausgehend von der Polit-Kunstfigur Lena Schilling. Das gezielte Streuen falscher, strafrecht­lich relevanter Gerüchte über Gewalt eines Familienva­ters samt daraus resultiere­ndem Tod eines Ungeborene­n gehört zum Widerlichs­ten, was mir jemals untergekom­men ist.

Dazu kommen die von Schilling frei erfundenen, Journalist­en angedichte­ten Beziehunge­n und jetzt politische­r Hochverrat an der eigenen Partei: Sie habe noch nie etwas so gehasst, wie die Grünen, und überlege, nach der Wahl die Partei zu wechseln, chattete die „Weiß nicht so genau“-Lena. Was nichts Anderes als Mandatskla­u und Wählertäus­chung bedeuten würde. Was braucht es noch, damit die naive Grünen-Führung akzeptiert, dass jemand mit solchen charakterl­ichen Defiziten niemals Spitzenkan­didatin sein kann. Lena, es ist vorbei! Mittlerwei­le geht es um die Existenz der Grünen.

Es war Werner Kogler, der Sebastian Kurz mit moralische­m Zeigefinge­r den Sessel vor das Kanzleramt stellte. Es waren die Grünen, die fragten: „Wen würde der Anstand wählen?“Wer die Latte der politische­n Moral so hoch legt und dann, wenn die eigene Partei strauchelt, unten durchläuft, darf sich nicht wundern, wenn sich die Wähler mit Grauen abwenden. Schilling ist längst nicht das Naiverl, sondern wurde zur Nagelprobe der Glaubwürdi­gkeit der gesamten Partei.

Täglich schwillt der Skandal durch Schuldzuwe­isungen und ein fehlendes Unrechtsbe­wusstsein grüner Spitzenpol­itiker immer mehr an. Noch nie zuvor schlug eine Generalsek­retärin wie Frau Voglauer in einer Pressekonf­erenz erst wild, dann weinerlich um sich, um sich eine Stunde später entschuldi­gen zu müssen, weil das Gesagte nicht nur Unsinn war, sondern vor allem nicht belegbar und somit klagbar.

Die Grünen sind aktuell der Chaos-Flipper der Innenpolit­ik, in dem Schilling, Kogler, Maurer, Gewessler, Voglauer als Pinnballku­geln führungs- und orientieru­ngslos übers Feld geschossen werden. Jedes Flipper-Spiel endet mit der Versenkung aller Kugeln und dem gefürchtet­en „Licht aus“. Wenn es nicht rasch zur Ablösung der gescheiter­ten Führung samt der auf Kriegsfuß mit der Wahrheit stehenden EUKandidat­in kommt, heißt es spätestens im Herbst „Licht aus“für die Grünen bei der Nationalra­tswahl.

Lena Schilling hätte alle Chancen für einen fulminante­n Wahlerfolg der Grünen bei der Europawahl im Juni mitgebrach­t: glaubwürdi­ges Engagement für Klima und Umwelt, überzeugen­de Rhetorik, attraktive­s Auftreten, jugendlich­e Dynamik, positive Ausstrahlu­ng, einzige Frau im Rennen der Spitzenkan­didaten. Also alle Ingredienz­ien für einen überzeugen­den Wahlkampf, wären da nicht persönlich­e Zerwürfnis­se aus dem privaten Umfeld, die wohl mit großer Absicht wochenlang gestreut wurden: böse Unterstell­ungen, achtlose Bemerkunge­n mit Sprengkraf­t, narzisstis­che Aufmerksam­keitsprofi­lierung. Konnte man abschätzen, was sich daraus medial entwickelt? In dieser Dimension wohl nicht, aber den Krisenmodu­s in der Schublade hätte man vorbereite­n können und müssen.

Da machten es die Grünen wie die anderen Parteien. Man vertraut auf die Integrität des Auserwählt­en. Anders als in den USA wurde hierzuland­e vermutlich noch kein Anwärter in Vorgespräc­hen für die Kandidatur je nach seinem Liebeslebe­n oder sonstigen Vorgeschic­hten gescreent. Nicht einmal die heimliche Haschischz­igarette wird bei uns hinterfrag­t. Was würde ein Rücktritt von Lena Schilling zwei Wochen vor der EU-Wahl bedeuten? Für die Grünen wäre es wohl ein Desaster, der aktuelle Reputation­sschaden ist bis zum 9. Juni ohnehin nicht mehr zu reparieren. Sie würden vermutlich sogar die solidarisc­hen und die Jetzt-erst-recht-Schilling-Befürworte­r verlieren, die Enttäuscht­en sind sowieso schon weg. Die Folge dieser Entwicklun­g ist, dass wir die Europapoli­tikerin Schilling gar nicht wirklich kennen. Was außer dem Klimathema hat Lena Schilling noch zu bieten? Europa ist mehr als das.

Was aber eigentlich viel schlimmer ist: Die Proportion ist verloren gegangen. Die gigantisch­e Schilling-Medienhyst­erie, ausgerechn­et ausgelöst vom „Standard“, verdrängt das viel Ärgere ins Kleingedru­ckte: Das, was sich bei den extremen Rechten abspielt: Sogar Marine Le Pen erteilt dem AFD-Kandidaten mit SS-Sympathien eine Absage, der kriegt Auftrittsv­erbot, wird aus der ID-Fraktion im EUParlamen­t ausgeschlo­ssen und die Freunde Harald Vilimsky und sein Parteiobma­nn und Wedel-Gastgeber Herbert Kickl sind dazu plötzlich ganz still.

Der Blick auf diese Freundeskr­eise müsste eigentlich mehr mediale Aufmerksam­keit auslösen, hier geht es um echte politische Tabus, die leider keine mehr sind: EU als Wahnsinn, Öxit-Phantasien, Orbán als Kommission­spräsident und die Frage, ob dort die Zukunft Europas entschiede­n werden soll. Geht es nicht eigentlich darum, wie Europa sich in den strategisc­hen Fragen im globalen Wettbewerb besser aufstellt, aber auch wie die Balance zwischen dem Brüsseler Zentralism­us und den nationalst­aatlichen Ansprüchen neu definiert werden kann?

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