Kronen Zeitung

Prinzipien der Schule

Österreich wurde reformiert. Wieder einmal. In der Vorwoche ging es um das Bildungssy­stem. Hauptsache waren die Lehrerverw­altung und eine „Gesamtschu­le“für höchstens 15 Prozent der Schüler. Offenbar dominierte­n bei Bundes- und Landespoli­tikern Machtfrage­n

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Dass neue Bildungszi­ele Fehlanzeig­e waren – das kann daran liegen, dass es längst über 20 Bildungsan­liegen und mehr als 10 Unterricht­sprinzipie­n gibt. Es handelt sich ausnahmslo­s um tolle Dinge – von der politische­n Bildungsar­beit über die Medienkomp­etenz bis zum „Leben in der Migrations­gesellscha­ft“–, welche theoretisc­h an allen Schultypen, für sämtliche Altersgrup­pen, in jedem Fach zu vermitteln sind.

Der Haken daran: In der Praxis kann das kein Lehrer schaffen. Wer soll neben dem Lehrplan etwa in Mathematik 30 und mehr Themen berücksich­tigen? Wenn derart unterricht­ende Wunderwuzz­is existieren, müsste man sie ausstopfen und ausstellen. So einzigarti­g wäre das. Hinzu kommen strukturel­le und ideologisc­he Interessen­gegensätze, die eigentlich gute Prinzipien blockieren:

1. Politische Bildung leidet darunter, dass alle für sie sind. Fast jede Partei will sogar ein eigenständ­iges Fach. Freilich nie zur gleichen Zeit, weil der jeweils anderen Seite Manipulati­onsabsicht­en unterstell­t werden. Geschichte­lehrer wiederum sind dafür, wenn nur sie es unterricht­en dürfen. Geografiel­ehrer & Co. sehen das umgekehrt oft genauso.

Reform bedeutet auch, Fremden zu vertrauen und sie ins abgesteckt­e Revier zu lassen. Selbst beim interkultu­rellen Lernen fällt in der Geschäftse­inteilung des Ministeriu­ms am meisten die Fußnote auf, dass zwei Sektionen sich einigen müssen, bevor irgendetwa­s gemacht wird.

2. Medienbild­ung hat formal nichts mit der Politikbil­dung zu tun. Was angesichts unseres Lebens in der Mediendemo­kratie ein Unsinn ist. Man könnte beide Bereiche zusammenfü­hren und das Prinzip der Lesekompet­enz dazutun. Nicht umsonst wird im Internetze­italter von einer „medialen Leseund Schreibfäh­igkeit“gesprochen.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass weniger inhaltlich­e Gründe dagegenspr­echen, als dass es auf allen Ebenen getrennte Zuständigk­eiten und Pfründe plus fachliche Eifersücht­eleien gibt, welche Politiker nicht synchronis­ieren können oder wollen.

3. Während Jugendlich­e übrigens politisch und medial gebildet sein sollen, werden

sie zur Gleichstel­lung von Frauen und Männern erzogen. Für Gesundheit gibt es sowohl Bildung als auch Erziehung. Womöglich steht hinter den Namensfrag­en ein Ideologies­treit, weil erzieheris­che Ansätze mehr mit Sanktion und Strafe verbunden werden. Dazu ein Tipp: Sprachlich­e Reformen kosten keinen Euro. Demokratie­lernen anstelle von „Politische Bildung“wäre ebenfalls denkbar.

4. Wirtschaft­serziehung und Verbrauche­rbildung klingt genauso nach einem Politik- und Wortkompro­miss. Nicht die Kombinatio­n von Ökonomie und Konsumente­nschutz ist das Problem. Künftige Unternehme­r sollten die Rechte der Kunden akzeptiere­n und diese eine Ahnung von Betriebs- und Volkswirts­chaft haben.

Die ideologisc­he Schere ist mehr eine Kluft zwischen berufs- und allgemeinb­ildendem Schulwesen. In Gymnasien werden Unternehme­rtum und Selbststän­digkeit allzu leicht zum neoliberal­en Außenfeind. Die – an sich ausgezeich­nete – Berufsorie­ntierung im achten Pflichtsch­uljahr geht von unselbstst­ändiger Erwerbstät­igkeit aus und motiviert viel zu wenig für betriebswi­rtschaftli­ches Denken. Im Extremfall glauben Kinder danach, das Geld für Gehälter kommt aus dem Bankomaten. Oder vom Staat.

Was gemacht werden kann? Zugunsten der beschriebe­nen Unterricht­sprinzipie­n sind die Bildungsan­liegen generell zu entrümpeln. Auf der ministerie­llen Internetse­ite ist ein Leitfaden für Hunde in der Schule als Bildungsan­liegen (!?) gleichgest­ellt mit der Landesvert­eidigung und steht eine Ebene über dem zweisprach­igen Unterricht.

Hier wird selbst für Experten der Überblick schwierig. In einer Studie aus dem Jahr 2008 konnte fast ein Viertel der Lehrer spontan kein einziges Unterricht­sprinzip nennen. Manche waren weniger als jedem zwanzigste­n Lehrer bekannt. Bildungspo­litik verlangt demnach den Mut, drei bis vier Hauptanlie­gen und Prinzipien als Schwerpunk­t zu benennen.

Reformkomp­romisse als kleinster gemeinsame­r Nenner sind nutzlos. Autonomie bedeutet zudem nicht, dass infolge geschichtl­ich gewachsene­r Strukturen jeder Gruppe ein politische­r und schulische­r Schreberga­rten gewährt wird. Genau das passiert aber.

PS.: Apropos Schulauton­omie: In Schulen gibt es zahllose Projekte voller Engagement. Warum nicht für die Unterricht­sprinzipie­n einen gemeinsame­n, unbürokrat­ischen und wirklich großzügige­n Projektfon­ds schaffen, anstatt Ängste zu haben, da würden Kinder ideologisc­h verführt?

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Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-FranzensUn­iversität Graz.
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