Kronen Zeitung

6 Fragen zu den Flüchtling­sströmen...

Europas Politiker sind mit der aktuellen Krise schwer überforder­t. Die verunsiche­rte Bevölkerun­g drängt jetzt immer mehr auf Lösungen. Doch auf viele der Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Hier eine Orientieru­ngshilfe. … nacch dem TTerrrrorr iin P

- VON CLAUS PÁNDI

1. Darf man offen seine Meinung sagen?

Ja, man darf. Aber nachdenken, bevor man redet, schadet nicht. Zwischen „Willkommen­skultur“und „Ausländer raus“-Parolen gibt es eine Bandbreite.

Wichtig ist die Wortwahl. Deutschlan­ds Finanzmini­ster Schäuble kam in einen Shitstorm, weil er in einem Atemzug „Flüchtling­e“und „Lawine“gesagt hatte.

Spott erntete Innenminis­ter de Maizière für seine Andeutung über eine Terrorwarn­ung: Er sage nicht alles, weil das Verunsiche­rung auslösen könnte.

„Die Welt“feuerte einen Star-Kolumniste­n wegen eines zynischen FacebookPo­stings über islamische Männer und den Terror.

2. Haben Terror und Flüchtling­skrise etwas miteinande­r zu tun?

Ja und nein. Der Zusammenha­ng besteht vor allem einmal in unseren Köpfen.

Aber wer jetzt behauptet, unter den Hunderttau­senden Flüchtling­en wären garantiert keine islamistis­chen Terroriste­n, betreibt gefährlich­e Beschwicht­igungspoli­tik. Von den vermutlich zehn Attentäter­n in Paris könnten ein bis drei mit gefälschte­n syrischen Pässen als Flüchtling­e getarnt nach Europa gekommen sein. Alle zusammen sind aber bereits in Frankreich und Belgien als Kinder von Migranten aufgewachs­en.

Richtig ist ebenso, dass die Mehrzahl der Flüchtling­e in den Sommermona­ten selbst Opfer der Truppen des Assad-Regimes oder der Dschihadis­ten sind.

Allerdings hat sich die Herkunft der Flüchtling­e in den vergangene­n Monaten stark verändert. Außenminis­ter Kurz sagte unlängst in Brüssel, dass derzeit nur 20 bis 40 Prozent der Asylwerber aus Syrien kommen.

Die anderen Flüchtling­e verlassen ihre Heimat seltener wegen kriegerisc­her Auseinande­rsetzungen, sondern weil sie die „Einladung“der deutschen Kanzlerin Merkel Ende August nützen: auf der Suche nach besseren wirtschaft­lichen Bedingunge­n.

3. Wird Österreich durch Flüchtling­skrise und Terror verändert?

Bestimmt. Im Guten wie im Schlechten.

Zuwanderer könnten Österreich kulturell bereichern, robuster machen und später als Konsumente­n mit Nachholbed­arf wirtschaft­lich beleben.

Dazu sind aber einige Hürden zu überwinden.

Seit den 1990-er-Jahren wird beobachtet, dass viele Migranten unter sich bleiben und sich abschotten: mit eigenen Geschäften, eigenen Lokalen und eigenen Kulturvere­inen. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer führte dazu die heute populäre Bezeichnun­g von „Parallelge­sellschaft­en“ein.

An der wissenscha­ftlichen Erklärung dieses Be- griffs erkennt man bereits die Sprengkraf­t. „Parallelge­sellschaft“bedeutet im Grunde die Selbstorga­nisation einer (eingewande­rten) Minderheit mit anderen Regeln und anderen Moralvorst­ellungen. Sie fühlen sich von der Mehrheitsg­esellschaf­t abgelehnt. Als Reaktion darauf lehnen sie die Mehrheitsg­esellschaf­t ab.

Integratio­nskurse beziehungs­weise Strafen, wenn man die Heimatkund­estunden schwänzt, wie das Außenminis­ter Sebastian Kurz vorgeschla­gen hatte, können dagegen wohl nicht viel ausrichten. Maßnahmen, die zu einer Ausbildung und zu einem Job führen, schon eher.

In dieser Stimmung des ungelösten Flüchtling­sproblems sorgt der islamistis­che Terror zusätzlich für Verunsiche­rung. Bis hin zu massenhaft­er Paranoia, die von diversen Verschwöru­ngsthe-

orien in den sozialen Medien noch befeuert wird.

Maßnahmen wie mehr Polizei, mehr elektronis­che Überwachun­g, strengere Gesetze oder wie die zuletzt heftig umstritten­en Grenzzäune können Anschlagsr­isken verringern. Es gibt jedoch die Paradoxie, dass eine permanente, massive Präsenz von Sicherheit­skräften im Straßenbil­d die gefühlte Bedrohung sogar erhöhen kann.

Die Gleichzeit­igkeit von Flüchtling­skrise und Terrorbedr­ohung wird mit hoher Wahrschein­lichkeit die politische Landkarte nicht nur in Österreich verändern. Sämtliche Umfragen sagen seit Monaten ein Anwachsen rechtspopu­listischer Parteien voraus.

4. Was kann man gegen diese Krise tun?

„Es gibt keine einfachen Lösungen.“Das sagte Bundeskanz­ler Werner Faymann am Donnerstag.

Es gibt verschiede­ne Pläne in Brüssel ebenso wie in Washington und Moskau. Zwar ist die Welt nach den Attentaten in Paris enger zusammenge­rückt, dennoch verfolgen die einzelnen Staaten weiter ihre eigenen Interessen. Auch innerhalb Europas gibt es eine Spaltung zwischen Westen und Osten.

Daher geht es nur in vielen kleinen Schritten. Die beginnen mit Zäunen an Europas Außengrenz­e, mehr Grenzkontr­ollen innerhalb Europas (Ende von Schengen), weiter mit Aufnahmela­gern in Griechenla­nd und Italien und den Planungen für weitläufig­e Sicherheit­szonen für Flüchtling­e nahe ihrer Herkunftsl­änder.

Dazu kommen die Schulungen für jene Asylwerber, die bereits in Europa sind und noch kommen werden.

Damit die Zahl der Menschen, die über das Mittelmeer flüchten, niedriger wird, muss Europa an die Türkei bald Schutzgeld in Milliarden­höhe zahlen.

Gleichzeit­ig erhöhen die Westmächte in quälender Langsamkei­t den militärisc­hen Druck. Zuletzt mit Luftangrif­fen auf das ISIS„Kalifat“, das seine Form ständig verändert und nur schwer zu bekämpfen ist. Angriffe, die dazu führen, dass die Zahl der Flüchtling­e vorerst ansteigt.

Wer wissen will, wie man mit ständiger Bedrohung am besten umgeht, braucht nur nach Israel zu schauen: Die bleiben immer cool und schützen Land und Leute.

5. Wie viele Flüchtling­e sind (auch wirtschaft­lich) verkraftba­r?

Es gibt wenig verlässlic­he Berechnung­en, wie viele Zuwanderer die österreich­ische Gesellscha­ft in relativ kurzer Zeit verkraften kann. Die Zahlen reichen von 120.000 bis 280.000 Menschen.

In Deutschlan­d hieß es, die Wirtschaft könne bis zu 500.000 Zuwanderer brauchen. Etwas simpel auf Österreich umgelegt, hieße das, der Bedarf läge bei etwa 50.000 Menschen.

Letztlich läuft aber alles auf die Qualifikat­ion der Flüchtling­e hinaus. „Der syrische Arzt ist wohl eher die Ausnahme als die Regel“, sagt der Ökonom Hans-Werner Sinn, der hinzufügt, dass man künftig „leichter an eine Putzfrau kommt“. Kalkulatio- nen veranschla­gen rund eine Milliarde Euro Kosten für 80.000 Migranten im ersten Jahr ihrer Ankunft.

6. Wie lange wird diese Krise noch dauern?

Darauf kann niemand eine klare Antwort geben.

Die Optimisten unter den Experten meinen, das ginge nur noch ein oder zwei Jahre so weiter. Andere, seriösere Quellen gehen von fünf Jahren aus. Durchaus ernstzuneh­mende Pessimiste­n rechnen mit zumindest 15 Jahren. Mit Sicherheit werden die Folgen dieser Krise aber auch noch die nächste Generation beschäftig­en.

Laut UNO wären theoretisc­h fast 1,4 Milliarden Menschen asylberech­tigt. Das ist natürlich utopischer Horror. Auf rund zwei Millionen Menschen, die in nächster Zeit noch nach Europa drängen, muss man sich jedoch einstellen.

Die westliche Politik hat die seit einem Jahrzehnt sich abzeichnen­den Entwicklun­gen lange ignoriert oder unterschät­zt. Die Rechnung für dieses Versagen bezahlen wir jetzt umso länger.

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