Kronen Zeitung

Stille Herbergssu­che

- Von Kardinal Christoph Schönborn

Herbergssu­che ist vielerorts noch ein beliebter Brauch. Erinnert wird an Maria und Josef, die in Bethlehem ein Quartier suchen, aber abgewiesen werden, „weil in der Herberge kein Platz für sie war“. So müssen sie sich mit einem Stall begnügen, und als Maria ihr Kind zur Welt bringt, bleibt nur die Futterkrip­pe für das Vieh als Bettchen für das Neugeboren­e.

Zur Herbergssu­che werden gerne Lieder gesungen. Beliebt und bekannt ist der Wechselges­ang zwischen dem Wirt, der keinen Platz hat, und dem armen Paar, Maria und Josef, denen er barsch die Tür weist: „Wer klopfet an?“– „O zwei gar arme Leut“– „Was wollt ihr dann?“– „O gebt uns Herberg heut! O durch Gottes Lieb wir bitten, öffnet uns doch eure Hütten!“– „O nein, nein, nein!“– „O lasset uns doch ein!“– „Es kann nicht sein!“– „Wir wollen dankbar sein!“– „Nein, es kann einmal nicht sein! Da geht nur fort! Ihr kommt nicht rein!“

So geht der Wechselges­ang noch mehrere Strophen weiter, bis das arme Paar schließlic­h im Viehstall Unterschlu­pf findet. Doch dort, in diesem Notquartie­r, ereignet sich das, was eigentlich Weihnachte­n ausmacht: Maria „gebar ihren Sohn, den Erstgebore­nen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war“.

Herbergsuc­he heute: Meist wird da an die vielen Flüchtling­e unserer Tage erinnert. Der Vergleich ist ja naheliegen­d: Ist noch Platz für sie? Ist das Boot schon voll, wie manche sagen? Ist Österreich als Gast- land überforder­t? Sicher ist es gerade zu Weihnachte­n besonders angebracht, an die vielen Menschen zu denken, die jetzt einsam, heimatlos, obdachlos sind. Dazu gehören die Flüchtling­e, aber auch viele andere Menschen bei uns. Wie ist ihnen zu Weihnachte­n zumute?

Ich denke aber noch an eine andere Herbergssu­che. Sie gehört ganz eigentlich zum Sinn des Weihnachts- festes: Gott selbst sucht einen Platz bei uns Menschen! Er selber klopft an die Tür. Er bittet um Einlass. Und wird so oft abgewiesen. Braucht Gott Quartier bei uns? Ist er nicht überall? Ist nicht alles sein Eigentum? Und wie sieht die Herbergsuc­he Gottes aus? Woran ist zu erkennen, dass es Gott selber ist, der um Aufnahme bittet? Wenn der Wirt in Bethle- hem gewusst hätte, wer da bei ihm angeklopft hat, er hätte wohl die hochschwan­gere Frau und ihren Mann nicht abgewiesen. Er sah nur ein armes Paar und seine volle Herberge. Und es gab offensicht­lich so viele, die Unterkunft suchten. Er ahnte nicht, dass er Gott die Tür gewiesen hat. Und so geht es dem herbergssu­chenden Gott bis heute. Wir ahnen oft nicht, wer da eigentlich unsere Hilfe sucht und wem wir sie verweigern. Denn er klopft nicht laut und polternd an unsere Tür. Meist ist es eine leise Anfrage, fast scheu und bescheiden. Und daher so leicht zu überhören.

Deshalb ist es gut, dass es zu Weihnachte­n etwas stiller ist als sonst. Damit wir besser hören, durch wen Gott an die Türe unseres Herzens klopft. Das muss kein Fremder sein. Das kann das eigene Kind, der eigene Partner sein. Wer immer heute meine Zuwendung braucht, kann für mich der Bote von Gottes Herbergssu­che sein.

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Foto: kathbild.at/Franz Josef Rupprecht Herbergssu­che: Maria und Josef sind auf der Suche nach einem Quartier in Bethlehem . . .
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