Ist alles nur eine Frage der Ehre?
An der Wien: Rossinis „Otello“in Michielettos Regie; am Pult: Antonello Manacorda
Ein Publikumserfolg für das Theater an der Wien: Intendant Rudolf Geyer zeigt Gioacchino Rossinis Dramma per musica „Otello“(1816) in Damiano Michielettos bejubelter, mit Bravogeschrei gefeierter Inszenierung und in Paolo Fantins Bühnenbild. Am Pult der Wiener Symphoniker: der an der Wien debütierende Antonello Manacorda.
Michieletto hat es sich mit „Otello“nicht leicht gemacht: Er versucht, die schwache „Otello“-Dramaturgie Rossinis & Francesco
Maria Berios, die mit Shakespeares kühnem Dramenentwurf kaum zu Rande kommt, klarer zu zeichnen.
Michieletto verschiebt das Gewicht vom Repräsentativ-Militärischen der Oper in die Familie, die durch Otellos heimliche Hochzeit mit Desdemona, der BarberigoTochter, aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Vater Elmiro und der Doge wollen Desdemona mit Rodrigo verheiraten. Emilia wird zur Schwester Desdemonas, Jago zum neurotischen Cousin. Mit diesem „Trick“erklärt die Regie die Position: hier der mächtige Clan, dort der Eindringling Otello, der Fremde, dessen militärische Erfolge die Familie braucht, den sie aber alle hassen . . . Nach dem Prinzip „einer gegen alle“gelingt es Michieletto, die Spannung zwischen den Figuren zu verdichten. Und den Szenen mehr Spannung zu geben.
Außerdem lässt Michieletto das Drama unter dem Gemälde „Francesca da Rimini“spielen und lässt Francesca und Paolo auch als Geister durch die Szene schreiten, um die Eifersuchtstragödie spürbar zu machen. Paolo Fantin zeigt eine große, durch eine Wand teilbare Marmorhalle, in der die Tragödie bald im engen, bald im repräsentativen Rahmen abläuft. führt Antonellodie Symphoniker Mancorda und den Schoenberg Chor souverän, aber nie klanglich virtuos oder elegant. Die Besetzung fühlt sich aber bei ihm gut aufgehoben: imponierend John Osborns leuch- tender Tenor in der leidenschaftlich kämpferischen Titelpartie, mädchenhaft frisch bis rührend „Desdemona“Nino Machaidze. Ausgezeichnet ihre „Weidenarie“. Jugendlich ungestüm Maxim Mironovs verschmähter Rodrigo. Fulvio Bettini ist ein aalglatter Vater Elmiro, bei dem alles eine Frage der Ehre ist. Aber warum muss der Tenor Vladimir Dmitruk den Jago als schmierig intriganten Spastiker spielen? Verlässlich: Gaia Petrone, Nicola Pamio und Julian Hanao Gonzalez.