VOLKSTHEATER:
Man kann ihn als den russischen Bruder von Arthur Schnitzler sehen, als Beobachter und Seelenanalytiker, feinen Beschreiber menschlicher Beziehungen: Anton Tschechow, russischer Arzt und Dichter. Oder man knetet sein Werk zu einem überzeichneten Wirkungstheater, an der Grenze zum Klamauk – wie es das Volkstheater vor kurzem mit seiner Neuproduktion tat.
Man hat sein frühes Stück „Iwanow“auf den Spielplan gesetzt, von Tschechow zunächst als Komödie, dann überarbeitet und als Tragödie bezeichnet. „Iwanow“, das ist Tschechow pur: Menschen, die in der russischen Provinz am Leben verzweifeln, zwischen Einsamkeit und Langeweile gestrandet sind. Schwach, unentschlossen. Sie verharren im sinnlosen Wiederkäuen des Gesprochenen, versinken im Alkohol und in der Sinnlosig- keit ihres Daseins. Es lohnt sich, diese Theatertextur mit Fingerspitzengefühl anzugreifen: Die Seele ist bekanntlich ein weites Land.
Victor Bodo, mehrfach ausgezeichneter ungarischer Regisseur, zäumt das Pferd von der anderen Seite auf. Knüppeldick überzeichnet er die Figuren und treibt sie an die Grenze des Absurden. Laut ist es, derb und grell, Feinripp und nackter Popo gehören einfach dazu. Interessant, wie Bodo die Schnittmenge von Outrage und Manierismus findet und strapaziert.
In einer solchen Inszenierung stolpert, spuckt und radauisiert es sich freilich leicht. Und was sich da an Holterdipolter-Heiterkeit, Guck-guckFröhlichkeit und ADHS auf der Bühne herumtreibt, ist schwer zu ignorieren.
Alles wird auf die erste Vermutung hin gespielt, auf die offensichtlichste Wirkung, nichts steht zwischen den Zeilen. Man wird den Eindruck nicht los, dass die Bilder und Einfälle über den Inhalt gestülpt wurden und nicht dem Inhalt entsprungen sind. Den Schauspielern in dem von Christoph Marthaler inspirierten Bühnenbild inklusive 50er-Jahre-Mief (Lörinc Boros) gibt er kaum Chancen. Was soll sich schon Spannendes abspielen zwischen ihnen, wenn sie vordergründig und zweidimensional agieren sollen?
So ist Iwanow (Jan Thümer) nur ein Nervenwrack, seine Frau Anna (Stefanie Reinsperger) nur eine Leidende, die Geliebte (Nadine Quittner) nur die Verführung, der Arzt (Gábor Biedermann) nur ein „Klemmi“, Borkin (Thomas Frank) nur ein koksender Rüpel.
Doch, nota bene: Tschechow kann mehr. Berühren zum Beispiel. Und das ganz ohne Riesengrimassen.