Die Frage nach dem richtigen Leben
Der österreichische Erfolgsautor Thomas Glavinic im „Krone“-Interview über den neuen Roman „Der Jonas-Komplex“
In den Kritiken wird gerne vom „Extremsportler unter den Schriftstellern“geschrieben, von „Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll“in Buchform, ein bisschen wild, ein bisschen durch- geknallt. „Ich halte mich gar nicht für extrem, sondern bin ganz normal“, bekennt Thomas Glavinic im „Krone“-Interview. „Aber heutzutage gilt ein Schriftsteller schon als exzentrisch, wenn er einen Führerschein besitzt.“
Der Schriftsteller, den wir aus einigen seiner Büchern bereits als Ich-Erzähler kennen, dieses vermeintliche Alter Ego, das im Koks- und Alkoholrausch die eigenen Abgründe vernebelt, das lässt er nun auch in seinem neuen Roman „Der Jonas-Komplex“über die großen Themen des Lebens nachdenken – über die Liebe, den Tod, die Zeit. Dass der IchErzähler autobiographisch sei, verneint er stets. „Ich liebe natürlich das Spiel mit der Realität, aber es ist eben genau das: ein Spiel. Was zwischen zwei Buchdeckeln steht, ist nur Fiktion, auch wenn ich von realen Personen schreibe.“
Neben dem Schriftsteller begegnet uns ein weiterer „alter Bekannter“aus Glavinics Romanen wieder: der poetische Abenteurer Jonas, der im Bestseller „Das größere Wunder“den Mount Everest erklimmt und sich diesmal von seinem Anwalt in entlegensten Teilen der Welt verstecken lässt. „Beim Jonas fragt nie jemand nach Parallelen zu meinem Leben, dabei fühle ich mich ihm sehr nahe. Sich irgendwo in der Welt aussetzen zu lassen finde ich eine faszinierende Idee. Es gibt ja keine wirklichen Abenteuer mehr – das wäre eines.“
Neu im „Jonas-Komplex“ist der dritte Handlungsstrang: der eines 13-jährigen Jungen, der im Jahr 1985 bei einer alkoholabhängigen Frau aufwächst, die nicht seine Mutter ist, der gerne Schach spielt und sein junges Leben mit einer alten, klugen Seele betrachtet. Er ist für Glavinic die Quintessenz des Romans – er hätte zu beiden Männern werden können, Jonas oder der IchErzähler. „Als Kind fragt man sich, wer wird man sein, wenn man 30 ist, mit 40 wird man sich langsam bewusst, dass die gesunden Zeiten vorbei sind, mit 80 blickt man dann wahrscheinlich auf die eigenen Fehler und versäumten Gelegenheiten zurück. Die Zeit betrügt uns, sie gaukelt uns Stillstand vor und bewegt sich doch ständig vorwärts. Und genau darum geht es: Sich rechtzeitig darüber Gedanken zu machen, ob wir im richtigen Leben leben.“
Die Angst vor den eigenen Möglichkeiten
Eines eint alle drei Figuren – der titelgebende „Jonas-Komplex“– die psychologische Bezeichnung für die Angst vor den eigenen Möglichkeiten, dem eigenen Er- folg. „Sie alle sind zu sehr viel in der Lage, sie fürchten sich aber davor.“Ein Gefühl, das der Autor nachvollziehen kann. „Ich schreibe über nichts, was ich nicht kenne. Aber ich glaube, ich habe es überwunden.“