„Daheim hat Mama nie ein Machtwort gesprochen“
Ex-Höchstrichterin Irmgard Griss und ihre Söhne Johannes und Rudolf über Jus im Wald, Diktate in Deutsch und die Vogelhochzeit als Schlummerlied.
4Ein fauler Samstagmorgen am Grazer Kaiser-Josef-Markt. Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss schlendert mit ihren Söhnen an Bauernbrot-, Äpfel- und Wurstständen vorbei. Dass beide zuhause sind, ist eine Seltenheit. Rudolf lebt in der Schweiz, Johannes in Wien. „Erinnerst du dich, wie wir als Kinder immer Zuckerschoten gekauft und dann die Erbsen herausgeklaubt und gegessen haben?“, fragt der Ältere. Die Mama strahlt übers ganze Gesicht.
In der Bibliothek der Anwaltskanzlei Griss & Partner plaudern die drei dann über ihre bunte Patchwork-Familie und eine Kindheit mit gaaanz vielen Büchern.
Zwei Söhne, zwei Väter. Und dann gibt es noch drei Halbgeschwister. Wie wurde den Kindern im Hause
Griss das Patchwork erklärt?
Johannes: Für uns war immer klar, wer wie verwandt ist und wer die Eltern von wem sind. Da gab es nie ein Geheimnis.
Rudolf: Man denkt sich als Kind nichts dabei. Wir sagen auch nicht Halb- oder Stiefgeschwister. Für uns sind wir alle normale Geschwister.
Johannes: Wurscht, mit wem man verwandt ist. Die Familie ist immer die, mit der du aufwächst.
Was sind die ersten Erinnerungen an diese Familie?
Johannes: Als Rudolf auf die Welt gekommen ist, bin ich mit Papa und den drei älteren Geschwistern ins Krankenhaus gefahren. Ich wurde hochgehoben zu so einem runden Fenster, da habe ich Mama und Rudolf gesehen. Wann kann ich mit ihm spielen? Das war meine erste Frage. Als ich erfuhr, dass ich noch warten muss, habe ich es nicht mehr so toll gefunden.
Rudolf: Ich erinnere mich an das Klappern von Mamas Sharp-Computerschreibmaschine. Ihr Büro war direkt neben unserem Schlafzimmer. Sie hat die Tür immer einen Spalt offen gelassen, nachdem sie uns Gute Nacht gesagt hatte. Klappern, Klappern, Bimm! Und dann ist es wieder weitergegangen.
Hat sie die Buben auch in den Schlaf gesungen?
Die Söhne schütteln den
Kopf. Die Mutter sagt: Am Beginn schon! Natürlich! Und zwar die Vogelhochzeit.
Johannes: Und sie hat uns vorgelesen. Wir haben einen ganzen KinderbuchVerlag ausgelesen.
Rudolf: Doktor Doolittle, Astrid Lindgren, Selma Lagerlöf, Karl May.
Sie: Und Edith Nesbit, die hat ja wunderschöne Kinderbücher geschrieben.
Wie haben sie den Schulkollegen den Beruf ihrer Mutter erklärt?
Johannes: Bei uns in der Schule war das nie ein Thema, was die Eltern machen. Meine Vorstellung von einer Richterin war, dass sie an der Schreibmaschine sitzt und tippt.
Rudolf: Unsere Mutter war sehr viel zuhause. Dadurch, dass auch unser Vater Jurist ist, wurde sehr
viel diskutiert über alle möglichen juristischen Fragen.
Johannes: Wenn wir im Wald spazieren gegangen sind, dann wurde uns zum Beispiel das Patentrecht erklärt.
Hätte Irmgard Griss gerne gehabt, wenn die Söhne Juristen geworden wären?
Sie: Nein. Der älteste Sohn meines Mannes führt die Tradition der Kanzlei weiter. Es stand den Buben völlig offen, was sie machen.
Johannes: Die einzige Vorgabe war: „Lernt etwas Gscheites!“
Waren gute Schulnoten ein Thema?
Rudolf: Wir hatten eh gute
Noten.
Johannes: Außer mir, in Deutsch habe ich mir schwergetan. Mama sagte immer: Wurscht, welche Note du kriegst, Hauptsache, du hast dich bemüht.
Gab’s nie Sanktionen oder Strafen?
Johannes: Nie. Im Gegenteil. Mama hat sich jeden
Tag mit mir hingesetzt und ein Diktat gemacht.
Sie: Johannes hat sogar Vogel mit F geschrieben!
Eine Richterin als Mutter, war die nicht manchmal streng?
Rudolf: Nein. Sie war immer gelassen. Selbst wenn wir gestritten haben, hat sie darauf Wert gelegt, dass alles besprochen wurde.
Johannes: Ich glaub, am Anfang war ich nicht ganz lieb zum Rudolf.
Rudolf: Was heißt am An
fang? – Alle lachen.
Johannes: Wir haben viel gerauft. Ich habe meinen Bruder so lange geärgert, bis
er mich gehaut hat. Dann habe ich zur Mama gesagt: Der Rudolf hat mich gehaut!
Rudolf: Aber sie hat nie ein Machtwort gesprochen.
Johannes: Oder geschrien.
Frau Griss, viele Mütter neigen unbewusst dazu, ihre Söhne zu Paschas zu erziehen. Wie war das bei Ihnen?
Sie: Also das kann man bei uns wirklich nicht sagen. Wir hatten zwar immer eine Haushälterin, sie gehört zur Familie, und die Buben sagen „Tante“zu ihr. Aber die Kinder haben alle mitgeholfen. Tisch abräumen, Geschirrspüler einräumen, das war selbstverständlich.
Fühlt sie sich im Wahlkampf unterstützt?
Sie: Sehr. Johannes hat sogar das Crowdfunding übernommen.
Wie groß wäre die Enttäuschung, wenn die Mutter es doch nicht schafft?
Johannes: Es wäre ein unendliches Armutszeugnis für unser Land. Aber Mama würde dann halt andere Dinge finden, für die sie sich einsetzen kann.
Was hat die Mutter den Söhnen mitgegeben?
Rudolf: Sie sagte immer: Egal, was ihr macht, ihr müsst es gut machen!
Johannes: Mamas Credo war: Nicht schauen, was bringt mir das? Nicht drauf hören, was die anderen sagen, weil das ist ganz egal. Ihr müsst euch selbst der Richter sein!