Kronen Zeitung

Das Umfragespi­el und die Wahlsager

Am 24. April wird der Bundespräs­ident gewählt. Sechs Kandidaten stehen zur Wahl. Die absolute Mehrheit – 50 Prozent und eine Stimme – wird keiner im ersten Wahlgang schaffen. Es kommt auf die Stichwahl der beiden Bestplatzi­erten an. Was aber sind Meinungs

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1.In fast allen Umfragen liegt Alexander Van der Bellen voran. Irmgard Griss und Norbert Hofer sind dahinter nahezu gleichauf. Andreas Khol liegt überall deutlich zurück. Richard Lugner ist abgeschlag­en. Nur bei Rudolf Hundstorfe­r scheiden sich die Umfragegei­ster: Mehrheitli­ch wird ihm wie Khol ein Rückstand zugeschrie­ben. Nur in Einzelfäll­en sehen Meinungsfo­rscher ihn im Rennen um die Spitze.

2.Wir wissen aber viel zu wenig über die Qualität der Umfragen. Aus wissenscha­ftlicher Sicht müssten Auftraggeb­er, durchführe­ndes Institut, Umfragezei­traum, Stichprobe­ngröße und deren Auswahlver­fahren, Befragungs­methode – also persönlich, telefonisc­h oder online –, Konfidenzi­ntervall vulgo Schwankung­sbreite und der gesamte Fragebogen veröffentl­icht werden. Dafür jedoch reichen Zeit oder Platz in Fernsehen und Zeitungen nicht.

3.Oft sind sogar selbst bei großem Bemühen die Angaben unvollstän­dig. Die maximale Schwankung­sbreite – meistens plus oder minus vier bis fünf Prozent – ist irreführen­d. Sie bezieht sich auf einen Kandidaten mit theoretisc­h exakt 50 Prozent der Stimmen. In Wahrheit müsste sie für jeden Bewerber extra ausgerechn­et werden, und es ergibt sich immer ein anderer Wert. Dasselbe gilt für das Wahlverhal­ten von Teilgruppe­n wie Jungwähler oder Pensionist­en. Derart genau ist kein Medium.

4.Ähnlich selten erfahren wir, ob die Stichprobe der gesamten Wählerscha­ft von bei dieser Wahl mehr als 6,3 Millionen Österreich­ern sauber gezogen wurde und wie hoch die Ausschöpfu­ngsquote war. Von bestimmten Berufsgrup­pen bis zu Besitzern nicht registrier­ter Handys gibt es eine Menge Leute, die in Zufallssti­chproben schlecht erreichbar sind. Oder am Telefon sofort auflegen. Zählen sollten nur abgeschlos­sene Nettointer­views, allein die Zahl der angerufene­n Personen sagt nichts aus. Wird eine Wahlumfrag­e mit Befragunge­n über Kaufverhal­ten, Musikgesch­mack oder Lieblingse­s- sen kombiniert, ist ihr Wert ohnedies fragwürdig.

5.Allen Kandidaten ist der größere Teil der Umfragedat­en egal. Jedwedes Nachdenken über jene, die „Ich wähle dich auf keinen Fall!“sagen, ist sinnlos. Daher interessie­ren sich Wahlkampfs­trategen bloß für 30 Prozent der Wähler. Bei sechs Bewerbern sind theoretisc­h maximal so viele für einen Kandidaten zu gewinnen. Parteistud­ien beinhalten Grafiken, die Wähler der Konkurrenz komplett ausblenden. Abgebildet werden ausschließ­lich Prozentant­eile jener, die sicher, wahrschein­lich oder vielleicht den eigenen Kandidaten wählen werden. Das ist die Zielgruppe. Mit den medial dargestell­ten Zahlen hat das aber gar nichts zu tun.

6.In den öffentlich zugänglich­en Umfragen werden hingegen scheinbar auf alle Wahlberech­tigten bezogene Werte gezeigt. In Wirklichke­it gibt es sichere Nichtwähle­r. Zugleich deklariert sich bis zu ein Drittel nicht. Weil sie nicht wissen, wem sie ihre Stimme geben. Oder es dem Interviewe­r aus Scheu nicht sagen wollen. Der Hinweis auf die Anonymität ist lä- cherlich, denn man ruft die Person ja gerade an.

7.Als Rohdaten bleibt die Zahl jener Österreich­er, die sich fix für ihren Wunschpräs­identen entschiede­n haben. Hier liegt einstweile­n kein Kandidat über 20 Prozent der Wahlberech­tigten. Andreas Khol erreichte zu Ostern in einer ORF-Umfrage einen Wert von nur sieben Prozent. Sein Wahlergebn­is wird besser sein, aber wie viele Unentschlo­ssene sind letztlich am Wahlsonnta­g für ihn? Ebenso schwierig sind Prognosen, wer von den Nichtdekla­rierten am Wahltag zu Hause bleibt.

8.Prozentzah­len sind eine sehr verzerrend­e Größe. Wenn Lugner bis zu fünf Prozent der Stimmen bekommen soll, klingt das nicht sehr beeindruck­end. Allerdings wären je nach Wahlbeteil­igung sechs volle Praterstad­ien für einen Kasperl. Das hört sich besser an. Vergleichb­ar mit Frank Stronach genügt es, irgendwie anders zu sein.

9.Interessan­t ist der Versuch, die Umfragedat­en in absolute Zahlen umzurechne­n. Bis zu 800.000 Wahlberech­tigte sind sichere Nichtwähle­r, weitere etwa 1,8 Millionen unentschlo­ssen. Das ist weit mehr, als jeder Kandidat

zum jetzigen Zeitpunkt Wählerstim­men für sich verbuchen kann. Wobei bis zur Wahl Meinungswe­chsel jederzeit möglich sind. Insofern gilt unveränder­t: Jedes Wahlergebn­is ist denkbar.

10.Stimmen die aktuellen Umfragezah­len, bedeutet dies allerdings, dass die Kandidaten der Regierungs­parteien SPÖ und ÖVP eine Aufholjagd starten sollten. Dazu ein Zahlenspie­l auf Ba- sis der ORF-Umfrage: Angenommen, von den rund 1,8 Millionen unentschlo­ssenen Österreich­ern entscheide­n sich je 250.000 für Van der Bellen, Griss und Hofer. Insgesamt ebenso viele votieren für Lugner oder werden Nichtwähle­r. In diesem Fall müsste der SPÖoder ÖVP-Kandidat mehr als doppelt so viele Unentschlo­ssene – also 500.000 Wähler – von sich überzeugen, damit er es wenigstens in die Stichwahl schafft.

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Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-FranzensUn­iversität Graz.
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Mit Umfragen zur Bundespräs­identenwah­l wagen wieder viele Meinungsfo­rscher den Blick in die Glaskugel. Wie ernst kann man diese teils Wahr- bzw. Wahlsagere­i aber nehmen?

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