Kronen Zeitung

Sie hat Auschwitz nie verlassen!

Wiener Festwochen: Oper Frankfurt mit Mieczysław Weinbergs „Die Passagieri­n“ Die szenische Welturauff­ührung bei den Bregenzer Festspiele­n 2010 sorgte für Aufsehen, entriss das Werk dem Vergessen: Mit einer soliden Produktion von Weinbergs Werk in einer I

- VON THOMAS GABLER

„Mich hat Auschwitz nie verlassen!“Es ist die große, durch deutschen Hass hervorgeru­fene Tragödie einzelner Menschen, die im gleichnami­gen Roman der polnischen Autorin Zofia Posmysz, Jahrgang 1923 und selbst Opfer der Verfolgung, berührt. Die alte Dame kam persönlich zur Wiener Premiere, erntete Standing Ovations für ihre Geschichte, die Alexander Medwedews Libretto als Vorlage diente. „Der Mensch ist ein Mensch – darin liegt unsere Hoffnung.“Eine Hoffnung, die sich in Weinbergs Oper, die bestens zum Konzertsch­werpunkt über Flucht „Wehe den eiskalten Ungeheuern“der Festwochen passt, kaum erfüllt. Wohl auch auf Flucht sind die Hauptchara­ktere: Weinbergs Passagieri­n namens Marta trifft an Bord eines Ozeandampf­ers auf ihre KZ-Wärterin, bringt diese in Unruhe und Beweisnots­tand ob ihrer Unschuld. In dichten acht Bildern mit Epilog dringen immer stärker die Bilder des Grauens, des Quälens und Mordens in die scheinbar leichte Atmosphäre einer Schiffspas­sage Richtung Brasilien. Weinberg zeichnet mit seiner Musik Bilder: Verinnerli­chung im Leid hat da Platz, aber auch die Stilisieru­ng (etwa von russischem Volksliedg­ut oder beschwingt­er Tanzmusik). Das Expressive, Erschütter­nde, besonders illustrier­t von Schlagwerk oder dunklen Bässen, bekommt aber auch seinen Platz, untermalen Bedrohung, Folter . . . Weiße Oberdecks, die sich im Inneren als brauner Rumpf, als Ort der Qualen, als Hölle offenbaren (Bühne: Katja Haß): Anselm Webers Inszenieru­ng hält sich ganz an die Intentione­n des Komponiste­n. Seine Regie stellt sich nie gegen die Musik, sie verstärkt Szenen, Situatione­n, Gefühle und Ängste.

Sie hat Auschwitz nie verlassen: Posmysz’ Satz bekommt mit Sara Jakubiak als „starke“Marta im Leid ein Gesicht. Sie meistert die anspruchsv­olle Rolle mit stimmliche­m Durchhalte­vermögen und gestalteri­scher Kraft – im Lager wie auf dem Schiff. Auf See wird sie für die überzeugen­de Tania Ariane Baumgartne­r als einstige Aufseherin Lisa zum Geist der Vergangenh­eit, der aus einem großen Ensemble mit treffend besetzten Figuren, darunter Peter Marsh als Diplomat (und Gatte Lisas) und Brian Mulligan als Martas Verlobter Tadeusz, herausragt.

Christoph Gedschold gibt ihnen allen mit dem Orchester der Oper Frankfurt, aber auch mit dem Chor den idealen Rahmen – und behutsame Stütze. Weinbergs collagenar­tig, oft bruchstück­haft wirkende Musik bleibt bei Gedschold im Fluss, behält ihre Dramatik. Keinen Moment kommt Pathos auf, klar bleibt das Werk, das Weinbergs Freund Schostakow­itsch begeistert­e.

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Vor der schwarzen Wand, hinter der sich das Grauen verbirgt: Chorfinale der bedrückend­en Reise in die düstere Vergangenh­eit.

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