Kronen Zeitung

Gedanken eines Engländers zum Brexit

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Wir saßen am River Trent. Es gab dort nur ein paar Sandwiches zum Lunch, dafür das beste Bier der Insel, das Marstons Bitter! Landlord Eddie war ein freundlich­er Mann, der mir zum Abschied sogar ein paar Bierdeckel mitgab, die ich damals noch leidenscha­ftlich sammelte. Am Kanal ankerten, von Norden kommend, mehrere kleine Bargen. Angeblich – so Eddie – habe hier auch Winston Churchill himself geankert.

Dort an der Bar sei er gestanden. Ihm sei es, als wäre es gestern gewesen, ließ sich der Landlord nicht beirren. Die Zeit stand jedenfalls, bis auf das Wasser des Binnenkana­ls, das müde an die Kaimauern klatschte, still – an jenem Sonntagvor­mittag vor 40 Jahren in Nottingham, mit den angeblich schönsten Mädchen der Welt.

Die Welt schien damals noch in den Fugen, zumindest auf der Insel. Das Empire war zwar untergegan­gen, doch Europa und vor allem Frankreich waren noch weit entfernt. Den später mit gewissem Widerwille­n gebauten Tunnel unter dem Ärmelkanal gab es noch nicht.

Doch das England meiner Kindheit gibt es nicht mehr! Aus stillen Pubs sind laute Pubs geworden, und auf den Straßen fahren statt Rovers Hyundais und VW Golf. Auch die großen Bedford Trucks sind verschwund­en. An ihrer Stelle beherrsche­n ScaniaLast­wagen die M 1 und alle anderen großen Verkehrsve­rbindungen im Vereinigte­n Königreich. Und aus meiner Taufkirche, der St. Werburgh’s in Derby, ist ein Einkaufsze­ntrum geworden.

All das spielt mit im Kopf der Brexit-Befürworte­r, die wieder die splendid isolation (Ende des 19. Jahrhunder­ts von den beiden Premiermin­istern Benjamin Disraeli und Robert Gascoyne-Cecil definiert) wollen. Denn meine Landsleute haben Angst um ihre Identität als Briten und auch um ihren weltweit bewunderte­n Lifestyle.

Wie mein im Vorjahr verstorben­er Vater gestimmt hätte? Ich glaube, dennoch gegen den Austritt aus der EU! Mein Großvater hingegen wäre sicherlich mit fliegenden Fahnen seines Regiments, „The Black Watch“, ins Brexit-Lager gewechselt. Zu sehr war er, der er in Indien gedient hatte, noch dem Empire verhaftet.

Ich selbst, der ich in zwei Welten groß geworden bin, hoffe, dass England England bleibt, aber dass es nicht zum Austritt kommt. Fish & chips sollten wir uns von der EU jedenfalls nicht verbieten lassen!

Ebenso wie Tiroler Speck auch Tiroler Speck bleiben muss. Insofern bin ich heute besonders stolz, Brite zu sein. Denn wir lehnen uns in diesen Schicksals­stunden auf gegen Brüssel! Kämpfen für die Eigenständ­igkeit unseres way of life.

Vielleicht ist diese Abstimmung ja auch eine Chance, einen neuen europäisch­en Weg zu gehen – nicht nur für Großbritan­nien, sondern auch für Österreich und die ganze EU. Ganz ohne TTIPDiktat­e oder CETA-Zwänge.

In diesem Sinne, God save England, Gott schütze Österreich und natürlich die Queen.

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Foto: Groh „Krone“Autor Mark Perry

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