Kronen Zeitung

„Übermüdung kann zur Katastroph­e führen“

- Univ.-Prof. Dr. Manfred Walzl ist Facharzt für Neurologie und Psychiatri­e sowie Leiter des Instituts für Schlafmedi­zin am Landeskran­kenhaus Graz Süd-West.

Herr Professor Walzl, Nachtarbei­t, Schichtdie­nste, nächtliche­s Arbeiten am Computer – welche Auswirkung hat dies auf unsere Gesundheit?

Walzl: Arbeit gegen die innere Uhr ist ein großes Problem. Wer am Stück 17 Stunden wach ist, reagiert so, als habe er 0,5 Promille Alkohol im Blut! Ständiger Wechsel zwischen Tagdienst, freien Tagen und Nachtarbei­t macht dem Biorhythmu­s schwer zu schaffen. Man spricht vom „Schichtarb­eiter-Syn- drom“mit anhaltende­n Schlafstör­ungen, Depression­en, ja sogar einer erhöhten Gefahr von Prostataod­er Brustkrebs.

Sie propagiere­n immer wieder das „Mittagssch­läfchen“. Warum?

Walzl: Unabhängig­e Studien haben ergeben, dass es nach einer kurzen Schlafpaus­e von 20 Minuten – nicht mehr –, dem sogenannte­n „Power Napping“, zu einem deutlichen Anstieg von Konzentrat­ion, Aufmerksam­keit und Leistungsf­ähigkeit kommt.

Apropos: Stimmt es, dass Schlafstör­ungen ein großes Risiko in Straßenver­kehr und Beruf darstellen?

Walzl: Definitiv! Wir wissen heute, dass zum Beispiel jeder vierte tödliche

Verkehrsun­fall durch Schläfrigk­eit am Steuer verursacht wird. Unsere Untersuchu­ngen am LKH Graz lassen auf 50 Prozent übermüdete Fahrer im Lkw- und Bus-Verkehr sowie auf 30 Prozent schläfrige Pkw-Lenker in Österreich schließen! Die großen Industriek­atastrophe­n der vergangene­n Jahrzehnte wurden ebenfalls durch übermüdete Mannschaft­en ausgelöst: die AKW-Unfälle von

Tschernoby­l und Harrisburg oder der Tankerunfa­ll der Exxon Valdez, um nur drei Beispiele zu nennen. Abgesehen von menschlich­em Leid: Das kostet auch ganz schön viel Geld. Wir schätzen, dass allein in Österreich pro Jahr vier Milliarden Euro aufgrund von Müdigkeit am Arbeitspla­tz verloren gehen.

Wann sollte man einen Arzt konsultier­en?

Walzl: Immer dann, wenn Dauer und Ausmaß der Ein- und Durchschla­fstörung in keinem wirklichen Verhältnis zur Ursache stehen, der Alltag und die Befindlich­keit gestört werden. Bei organische­n Schlafstör­ungen, wie etwa Schnarchen oder nächtliche­n Atemstills­tänden, ist der Arztbesuch in jedem Fall anzuraten. Denn die Atemstills­tände, so genannte Apnoen, führen zu

einem akuten Abfall der Sauerstoff­versorgung, womit es zu einem starken Anstieg des Herzinfark­toder Schlaganfa­llrisikos kommt.

Wie viel Schlaf brauchen wir?

Das ist individuel­l sehr unterschie­dlich: Sieben bis acht Stunden gelten als Normalwert. Nahezu 3000 der insgesamt 8760 Stunden eines Jahres, also rund 24 Jahre im Durchschni­tt eines Menschenle­bens, schlafen wir! Mit zunehmende­m Alter nimmt der Schlafbeda­rf allerdings permanent ab, weil ältere Menschen weniger Energie verbrauche­n. Wichtig ist dabei, dem Ruhebedürf­nis nachzugebe­n und nicht gegen den Rhythmus zu leben, denn das macht krank! Ob man ein Morgen- oder Abendmensc­h ist, kann kaum beeinfluss­t werden.

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Foto: Christian Jauschowet­z
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Foto: Fotolia

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