Kronen Zeitung

Die Geschichte vom glückliche­n Flüchtling

Vor dem dritten Durchgang der Bundespräs­identenwah­l marschiert­e Alexander Van der Bellen für den Medientros­s gegen die bösen Gerüchte durch seine Tiroler Bergheimat

- Claus Pándi

Dem Staatsorga­n „Wiener Zeitung“war die Bergtour des Präsidents­chaftskand­idaten Alexander Van der Bellen ein Foto auf der Titelseite wert. Unter der Schlagzeil­e „Wanderbell­en“spendierte ein Gratisboul­evardblatt dem Ausflug in die Ötztaler Alpen eine üppig bebilderte Story.

Das Großbürger­blatt „Die Presse“schenkte der Almshow des Hofburgbew­erbers mit aristokrat­ischem Hintergrun­d prominent platzierte 149 Zeilen.

Zwei ORF-Teams für rustikale Wahlshow

Hingegen versenkte „Der Standard“den alpinen Wahlkampfw­iederholun­gsauftakt des ehemaligen Grünen-Chefs als kleinen Bildtext weiter hinten im Blatt. Dafür klotzte die „Kleine Zeitung“mit einer doppelseit­igen Reportage über eine „beinahe sentimenta­le Wanderung durch Tirols Bergwelt“.

Und der ORF war zum rustikalen Politikeve­nt im Kaunertal gleich mit zwei Kamerateam­s aufgekreuz­t. Einmal für das Landesstud­io Tirol, einmal für die „Zeit im Bild“vom Küniglberg in Wien entsandt.

Werbetechn­isch ein voller Erfolg für Van der Bellens Kampagnetr­upp. Das Ziel: Die sich seit Monaten hartnäckig haltenden Gerüchte von Gesundheit­sproblemen des 72-Jährigen, zu zerstreuen, wurde erreicht. Immerhin kann sich der Mann auf 2000 Meter Seehöhe eine Chesterfie­ld reinziehen, ohne danach ins Schnaufen zu kommen. Das können nicht einmal viele Nichtrauch­er von sich behaupten.

„Wir hatten damals nichts“

Dazu gibt es die mehr oder weniger subtile Geschichte vom glückliche­n Flüchtling, der 1941 mit seinen Eltern im Kaunertal landete, bei Bedarf auch heute noch Kaunertale­risch spricht und für den Medientros­s perfekt abgestimmt­e Sachen sagt wie: „Ich, das Flüchtling­skind, habe hier in den Tiroler Bergen eine Heimat geschenkt bekommen.“Um das Klischee abzurunden, werden noch Erzählunge­n wie „wir hatten damals nichts“oder „die Mama musste für ein paar Zwetschken stundenlan­g in einen anderen Ort gehen“nachgelief­ert. Sätze, die in vielen Familien von den milde gewordenen Großeltern zu hören sind.

Später dann, als junger Erwachsene­r, musste Alexander Van der Bellen dennoch immer den inneren Drang gespürt haben, irgendwo und irgendwie dazugehöre­n zu müssen. Kurz Zeit nur bei den Freimaurer­n (beliebt bei allen Verschwöru­ngstheoret­ikern), bei der SPÖ, schließlic­h bei den Grünen. Was er da suchte, kann er selbst nicht schlüssig beantworte­n.

Aber „jedermann erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält“, schrieb Max Frisch. Und Van der Bellen, der schon fast Bundespräs­ident war, zählt jedenfalls nicht zu den vielen eher uninteress­anten Zeitgenoss­en, die auf der politische­n Bühne alimentier­t werden.

Van der Bellen bleibt immer auf Abstand

Richtig nahe kommt man Van der Bellen ohnehin schwer. Er ist kein Haberer. Von niemandem. Selbst bei einem seiner langjährig­sten Freunde aus dem Kaunertal, „dem Hans“, bleibt eine gewisse Restdistan­z zu spüren. Das ist gar nicht unangenehm. Vor allem in Wahlkampfz­eiten. Da wird rasch jeder Politiker zum besten Freund des Journalist­en. Alexander Van der Bellen bleibt immer auf Abstand. Ausnahme sind nur seine Frau, seine Kinder, seine beiden Hunde.

Der Single Trail, also ein Pfad, der so schmal ist, dass

Ich, das Flüchtling­skind, habe hier in den Tiroler Bergen eine Heimat geschenkt bekommen.

Alexander Van der Bellen über seine gelungene Integratio­n.

man nicht nebeneinan­der gehen kann, sondern nur hintereina­nder, kommt Van der Bellens Charakter bei der Bergtour mit dem Medientros­s im Schlepptau daher durchaus entgegen. Vor allem seinem Hang zum Schweigen. Im dritten Durchgang der Präsidente­nwahl sind allerdings auch kaum noch neue Erkenntnis­se zu erwarten. Es ist bereits alles gesagt. Nun werden nur die Positionen den aktuellen Entwicklun­gen angepasst. Also dass es falsch wäre, „vor Erdoğan in die Knie zu gehen“. Österreich dürfe jedoch an der „Entwicklun­g der Türkei nicht desinteres­siert“sein. Angela Merkel findet Van der Bellen auch noch immer gut. Ihm gefällt, dass die deutsche Kanzlerin „nicht hysterisch agiert“. Und den Brexit, Englands EU-Austritt, sieht er als möglichen Turbo für seine Wahlwerbek­ampagne. Denn jetzt zeigen sich die „schwerwieg­enden Folgen für die Menschen in Großbritan­nien auf Arbeitsmar­kt und die Wirtschaft“.

Kein Wort wert ist Van der Bellens politische Heimat, die Grünen. Sein Wahlkampft­eam wirkt, als wäre es vor Parteichef­in Eva Glawischni­g geflüchtet, um ihrem Idol, „dem Sascha“, zum Sieg zu verhelfen. Mit dabei auch eine Mitarbeite­rin der grünen Wiener Vizebürger­meisterin. Sie geht lieber ein Stück des Weges mit Van der Bellen, statt im Rathaus auf bessere Zeiten zu warten. Das Etikett „Unabhängig“auf der Präsidents­chaftskamp­agne wirkt auf einmal fast glaubwürdi­g. Zu Bemerkunge­n dazu lässt sich Van der Bellen nicht provoziere­n. Er bevorzugt seine Lieblingsd­isziplin: Schweigen.

Das muss ihr einmal jemand nachmachen. Sie agiert nicht hysterisch. Alexander Van der Bellen schätzt die „Wir schaffen das“-Politik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel.

 ??  ?? Was tut man im Wahlkampf nicht alles für die Medien: Präsidents­chaftskand­idat Alexander Van der Bellen auf dem Schlafböde­le auf dem Kaunerberg in Tirol – beobachtet von „Krone“-Innenpolit­iker Claus Pándi (rechts).
Was tut man im Wahlkampf nicht alles für die Medien: Präsidents­chaftskand­idat Alexander Van der Bellen auf dem Schlafböde­le auf dem Kaunerberg in Tirol – beobachtet von „Krone“-Innenpolit­iker Claus Pándi (rechts).
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