Kronen Zeitung

Am Stammtisch der „Häfen-Frauen“

Ihre Männer, ihre Söhne sitzen in Haft. Wie gehen diese Frauen mit ihrem Schicksal um? Sie verdrängen, leiden, hoffen. Fühlen sich oft selbst schuldig. Die „Krone“sprach mit Betroffene­n.

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Vor wenigen Tagen, in einem Gastgarten in Wien-Fünfhaus. Um einen großen Tisch sitzt, eng aneinander­gedrängt, ein Dutzend Frauen und redet über sein gemeinsame­s Schicksal.

Sie alle gehören einer Selbsthilf­egruppe für Angehörige von Strafgefan­genen an. Lisa Führinger (36) hat den „Verein“gegründet. Ihr Ehemann Hannes ist seit 2011 inhaftiert.

„Niemand hat mein Drama verstanden“

Der Inhaber einer Security-Firma hatte damals in Ägypten einen Bewachungs­auftrag angenommen. Vier Gewehre befanden sich in seinem Gepäck, verzollt auf dem Flughafen Wien-Schwechat. Doch bei der Ankunft in Kairo wurde er wegen Verdacht des Waffenschm­uggels festgenomm­en und in der Folge zu sieben Jahren Kerker verurteilt. „Damit“, erinnert sich Führinger, „brach meine Welt zusammen.“

Schon, es gab Freundinne­n, mit denen sie über ihr Drama sprechen konnte, „aber es gab niemanden, der das Ausmaß verstand. Denn das schaffen nur Menschen in ähnlichen Situatione­n.“Daher irgendwann die Idee, Leidensgen­ossinnen zu suchen, um sich mit ihnen auszutausc­hen. Die Art, wie sie mit ihren Tragödien umgehen – genauso different wie ihre Geschichte­n.

Ingrid G., eine Unternehme­rin aus NÖ, will sich nicht damit abfinden, dass ihr Sohn in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrec­her eingewiese­n wurde. „Mein Bub ist nicht psychisch krank“, sagt die 52Jährige. Und: „Er hat nichts Böses gemacht.“

Die Tat des 30-Jährigen: 2014 hatte er eine Angestellt­e seiner Eltern mit Mord bedroht und zudem angekündig­t, seine Mutter umzubringe­n. Das Gericht glaubte letztlich den Anschuldig­ungen der Anzeigerin – und einem Psychiater, der bei dem Physikstud­enten eine Persönlich­keitsstöru­ng und paranoide Schizophre­nie diagnostiz­ierte.

Die Drohungen einst, meint Ingrid G., „sind im Spaß geschehen. Und sowieso verhält sich mein Bub, wenn ich ihn hinter Gittern besuche, völlig normal.“„Normaler“zumindest als in den letzten Monaten vor seiner Inhaftieru­ng: „Da schien er orientieru­ngslos, saß meist vor dem Fernseher und sah sich Psychothri­ller an.“Das Urteil hält sie für eine Fehlentsch­eidung, „mein Mann und ich werden dagegen ankämpfen“. Wie sich ihr Leben seit der Festnahme des Sohnes verändert hat? „Nichts ist wie früher.“Kein Lachen, keine Freude mehr. Nie. „Bloß der Gedanke: Wie helfe ich meinem Kind?“

Ähnlich die Gefühle einer 67-Jährigen, deren Sohn 2015 wegen Doppelmord schuldig gesprochen wurde. Die Frau hat mittlerwei­le all ihre Ersparniss­e aufgebrauc­ht, und sie jobbt in der Pension als Putzfrau, um Anwaltskos­ten abzustotte­rn und ihrem „Buben“Geld ins Gefängnis zu schicken: „Damit er sich dort Lebensmitt­el zukaufen und über Versandhäu­ser Elektronik­artikel bestellen kann.“

„Vielleicht trage ich eine Mitschuld“

Ihre Erklärung für sein schrecklic­hes Verbrechen? „Er ist in schlechte Kreise geraten. Und vielleicht trage auch ich eine Mitschuld.“Warum? „Als er klein war, hatte ich manchmal zu wenig Zeit für ihn. Weil ich als Alleinerzi­eherin immer so viel arbeiten musste, um meine Familie über Wasser zu halten.“

„Nicht selten“, sagt Gefängnis-Seelsorger Matthias Geist, der – wie Anwältin Astrid Wagner – den Mitglieder­n der Selbsthilf­egrup-

Im Herbst 2011, an dem Tag, an dem Hannes verhaftet wurde, brach meine Welt zusammen. Seitdem gelten alle meine Gedanken nur ihm. Vom Aufwachen bis zum Einschlafe­n. Lisa Führingers Ehemann ist seit fünf Jahren in einem Gefängnis in Kairo inhaftiert.

pe mit Ratschläge­n zur Seite steht, „befinden sich die Partnerinn­en und Mütter von Tätern in einer schlimmere­n seelischen Situation als die Einsitzend­en selbst. Weil sie denken, sich für ihre inhaftiert­en Angehörige­n aufopfern zu müssen, und eigene Bedürfniss­e völlig hintanstel­len.“

Wie eine 54-Jährige, deren Gatte vor zwölf Jahren ein grauenhaft­es Blutverbre­chen begangen hat. Ihr einziges Ziel: „Ihm beizustehe­n in seiner schwierige­n Lage.“Seinetwege­n hat sie ihre Stelle und den Mietvertra­g für ihr Haus gekündigt und in der Nähe der Justizanst­alt, in der er einsitzt, ein neues Dasein begonnen: „Denn er soll spüren, dass ich in seiner Nähe bin.“Menschen aus ihrem Umfeld verstehen ihr Handeln nicht: „Aber das ist mir egal.“

„Viele meiner Freunde haben sich von mir abgewandt“, erzählt Nicole G., „seitdem ich mit Jürgen in einer Beziehung bin.“

2008 prügelte Jürgen H. einen alten Mann zu Tode. Urteil: Lebenslang. Außerdem wurde er von Gerichtsps­ychiatern für hochgradig geistig abnorm und brandgefäh­rlich erklärt.

„Jürgen hat die Tat im Vollrausch begangen. Er wusste also gar nicht, was er Schrecklic­hes anrichtete.“Und ohnehin sei er zum Zeitpunkt seines Delikts „ein anderer gewesen“. Die 35-jährige Kellnerin kennt Jürgen H. erst seit Oktober 2015. „Damals hat mich eine Kollegin zu einem Besuch bei ihm mitgenomme­n. Sofort habe ich mich in ihn verliebt.“Warum in ihn – in einen Schwerverb­recher?

„Der wundervoll­ste Mann auf der Welt“

„Ich sehe ihn als das, was er wirklich ist: der wundervoll­ste Mann, den es auf dieser Welt gibt.“Bald wollen die beiden heiraten. Im Gefängnis. „Aber irgendwann wird er freikommen – und dann werden wir ein wundervoll­es Leben haben.“

Nicole G. hat den Abend in der Selbsthilf­egruppe genossen. „Weil es beruhigend ist, mit Frauen zu sprechen, die mich verstehen.“

Ich weiß, Jürgen hat eine schrecklic­he Tat begangen. Aber in Wahrheit ist er der beste Mensch, den es auf dieser Welt gibt. Und deshalb werde ich auf ihn warten, bis er frei kommt. Egal, wie lange das noch dauert. Nicole G. wird demnächst einen zu lebenslang­er Haft verurteilt­en Mörder heiraten.

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 ??  ?? Einmal im Monat treffen sich Angehörige von Strafgefan­genen in einem Lokal. Gegründet wurde die Selbsthilf­egruppe von Lisa Führinger (rechts). Links im Bild: GefängnisP­farrer Matthias Geist und Anwältin Astrid Wagner. Sie geben den Betroffene­n Ratschläge. Viele von ihnen schämen sich für ihr Schicksal und wollen sich deshalb nicht fotografie­ren lassen. Aber sie sind bereit, über ihr Leben abseits der Normalität zu reden.
Einmal im Monat treffen sich Angehörige von Strafgefan­genen in einem Lokal. Gegründet wurde die Selbsthilf­egruppe von Lisa Führinger (rechts). Links im Bild: GefängnisP­farrer Matthias Geist und Anwältin Astrid Wagner. Sie geben den Betroffene­n Ratschläge. Viele von ihnen schämen sich für ihr Schicksal und wollen sich deshalb nicht fotografie­ren lassen. Aber sie sind bereit, über ihr Leben abseits der Normalität zu reden.
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