Was ist in Erdoğan gefahren, Herr Botschafter? Die Türkei klopft seit 55 Jahren an die EU-Tür. Kein anderes Land hat sich so lange bemüht.
Österreich auf Konfrontation mit der Türkei: Botschafter Mehmet Hasan Göğüş über Erdoğan, den Konflikt mit der EU und seinen Abschied aus Wien
Das war kein Putsch, sondern der blutigste Staatsstreich, den es in der Türkei je gegeben hat.
Der grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz liefert sich mit den türkischen Vereinen in Wien eine Schlacht. Am Donnerstag wirft er der türkischen Botschaft und türkischen Vereinen vor, in Österreich Parteipolitik für Präsident Erdoğan zu betreiben.
Ein heißer Nachmittag im La Pizzetta. Das Lokal liegt in jenem Teil des Wiener Naschmarktes, der ganz in türkischer Hand ist. Botschafter Mehmet Hasan Göğüş (62) wird von den drei Taskin-Brüdern begrüßt. Kaum hat er sich gesetzt, kommt schon die erste Sushi-Platte. „Es gibt so viele Missverständnisse“, beginnt er unser Gespräch – und lässt vorsichtshalber sein eigenes Tonband mitlaufen.
Herr Botschafter, in Österreich und Deutschland haben Zigtausende für Ihren Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, demonstriert. Was hat die türkische Politik bei uns verloren?
Hier liegt ein Missverständnis vor. Ich denke, jeder respektiert die Versammlungsfreiheit, genauso wie die Meinungsfreiheit. Diese Leute, die außerhalb der Türkei leben, wollen ihre Zustimmung für die Fortführung der Demokratie in der Türkei zum Ausdruck bringen. Was ist falsch daran?
Zum Thema Putsch kam in Köln sogar der Ruf nach der Todesstrafe, wie sie auch Erdoğan ins Spiel gebracht hat. Ist das etwa in Ihren Augen richtig? Sie müssen das verstehen. Die Emotionen kochen hoch, 246 Zivilisten haben ihr Leben verloren! Versetzen Sie sich einmal in die Rolle ihrer Väter, ihrer Frauen und ihrer Kinder. Sie wollen die Schuldigen bestraft sehen. Was unser Präsident gesagt hat, war nur, dass er es unterschreiben wird, sollte das Parlament die Wiedereinführung der Todesstrafe beschließen. Also wird es im Parlament debattiert werden, es wird Parteien dafür und dagegen geben, und wenn keine erforderliche Mehrheit zustande kommt – weil ja unsere Verfassung geändert werden müsste – wird es eine Volksabstimmung geben.
Sehen Sie darin kein Problem?
Wir sind uns unserer internationalen Verpflichtungen bewusst. Ich war Generaldirektor für Menschenrechte, und wir haben die Todesstrafe abgeschafft. Aber wie ich gesagt habe: Es wird debattiert werden.
Unser Außenminister Sebastian Kurz meinte, alle Leute, die türkische Innenpolitik nach Österreich schleppen, seien eingeladen, das Land zu verlassen.
Ich kann das nicht kommentieren, aber ich kann meine persönliche Meinung sagen. 300.000 Menschen türkischer Herkunft leben in Österreich, und von diesen sind 114.000 immer noch türkische Staatsbürger. Sie alle tragen zur Wirtschaft dieses Landes bei, Attila Doğudan und viele andere sind ein gutes Beispiel dafür. Wir sagen der türkischen Gemeinschaft immer wieder, dass sie Deutsch lernen soll. Das ist wichtig für die Türken, damit sie auch mehr erreichen können – es bedeutet aber nicht, dass sie ihre Wurzeln vergessen müssen. Man kann stolz sein, österreichischer Staatsbürger zu sein, aber trotzdem seinen türkischen Wurzeln treu bleiben.
Verstehen Sie, dass es bei uns nicht so gern gesehen wird, wenn die türkische Fahne geschwenkt wird?
Ich denke, das müssen wir entspannt sehen. Vor einem
Man sieht dem Botschafter an, dass er innerlich empört ist, wenn „sein“Präsident kritisiert wird. Die Bilder von nackten, gefesselten Putschisten, zusammengepfercht in Lagern, will er nicht kommentieren. Mitte dieser Woche, nach unserem Interview, spitzt sich die Lage weiter zu. Der Die Todesstrafe kommt ins Parlament. Ohne Mehrheit wird es eine Volksabstimmung geben.
Monat gab es ja die FußballEM, und es wurden in ganz Wien alle möglichen Nationalflaggen geschwenkt.
Waren Sie selbst auch bei der Erdoğan-Kundgebung, bei der es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam?
In der Nacht des Staatsstreichs war ich in der Botschaft, wo eine friedliche Demonstration stattfand. Immerhin wohne ich ja auch dort. Vielleicht war sie nicht aber es war 1 Uhr in der Nacht, da hätte man keine Genehmigung bekommen können. Bei einer anderen Demonstration kam es zu einem unglücklichen Vorfall, der scharf verurteilt werden muss, was die türkische Gemeinschaft auch getan hat. Es gibt aber noch einen weiteren Vorfall, da wurde meine Tourismus- und Kulturabteilung, die ein Teil meiner Botschaft ist, von PKKTerroristen besetzt. Sie betraten das Gebäude, warfen zwei Mitarbeiter raus und hissten die Flagge der PKK, die eine Terrororganisation wie der IS ist – und trotzdem gab es kaum eine Reaktion auf diesen Vorfall. So ist das.
Seit dem Militärputsch befindet sich Ihr Land im Ausnahmezustand. Mehr als 18.000 Menschen wurden festgenommen, Zehntausende Mitarbeiter aus Ministerien, Richter, Staatsanwälte, Soldaten, Lehrer entlassen. Was ist in Erdoğan gefahren?
Was ist am 15. Juli in der Türkei passiert? Es gab einen versuchten Militärputsch, der gescheitert ist. Aber in Wahrheit kann man gar nicht von einem Militärputsch sprechen. Dieses Mal stand eine Terrororganisation dahinter, die FETÖ, die versucht hatte, die staatlichen Strukturen zu infiltriegenehmigt, ren. Das war bislang der blutigste Staatsstreich in der Türkei, 246 Zivilisten wurden getötet, die sich vor Panzer gestellt haben. Ziel war es, das säkulare, demokratische System der Türkei zu stürzen und ein ganz anderes Regime zu etablieren. Und dann wundert man sich über die Reaktion unseres Präsidenten. Botschafter wird in das österreichische Außenministerium bestellt.
Können Sie die Maßnahmen Erdoğans nach dem Putsch noch unterstützen?
Warum beziehen Sie sich nur auf den Präsidenten? Es gibt schließlich auch noch die türkische Regierung – und wie gesagt, es ist die Richtlinie der Regierung. Diese muss jetzt untersuchen, wer Teil dieser Terrororganisation ist und wer am Staatsstreich beteiligt war.
Auch in Österreich ist die Lage eskaliert. Zwei kurdische Lokalbesitzer mussten wegen Gewaltandrohung untertauchen, auf Facebook gibt es jeden Tag Morddrohungen.
Niemand unterstützt die Anwendung von Gewalt oder illegalen Aktivitäten. Das muss verurteilt werden. Sicher gibt es Provokationen, aber ich halte sie nicht für eine ernst zu nehmende Bedrohung.